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Armenien-Besuch: "Großer Freund der Nation"

Papst geißelt Völkermord

  • Veröffentlicht: 26.06.2016
  • 11:48 Uhr
  • dpa
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© dpa/ Giorgio Onorati

Während sich die EU um den Brexit sorgt, sendet der Papst vom Rand Europas eine kraftvolle Friedensbotschaft. Angesichts des "Genozids" an den Armeniern im Osmanischen Reich ruft er die Türkei und Armenien zur Versöhnung auf. Er wendet sich aber nicht nur an Ankara.

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Papst Franziskus steht zu seinem Wort. Drohender Druck aus der Türkei hindert den 79-Jährigen nicht, beim Besuch im Südkaukasus den "Völkermord" an den Armeniern im Ersten Weltkrieg beim Namen zu nennen. Spontan baut er das Reizwort in seine Rede ein. Die Armenier danken es dem Papst. "Er ist ein großer Freund unserer Nation", betont Wagram Melikjan, der Sprecher der Armenischen Kirche.

"Viva il Papa!" (Es lebe der Papst!), grüßen Schaulustige auf Italienisch den rüstigen Argentinier beim Genozid-Mahnmal Zizernakaberd in der Hauptstadt Eriwan. Minutenlang verharrt Franziskus im stillen Gebet in der Sommersonne, als er einen Kranz niederlegt. Wie ein Wimmern erfüllt eine Melodie der Trauer den Steinkreis aus zwölf massiven Basalt-Stelen um die ewige Flamme.

Christenverfolgung

Schätzungen zufolge wurden vor 101 Jahren im Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Angehörige der christlichen armenischen Minderheit getötet. Doch weil die Türkei, die aus dem Osmanischen Reich entstanden ist, eine Einstufung der Taten als Genozid ablehnt, bergen Völkermord-Debatten internationales Konfliktpotenzial.

Das hat auch Deutschland Anfang Juni zu spüren bekommen, als der Bundestag die Gräuel als Völkermord brandmarkte - ein brisanter Schritt, da das Kaiserreich im Weltkrieg an der Seite der Osmanen kämpfte. Der Unmut aus Ankara ließ nicht lange auf sich warten.

Zwist mit Ankara

Auch dem Heiligen Vater blieb Zwist mit der Türkei nicht erspart, als er 2015 vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" sprach. Dass Franziskus nun in Eriwan seine Worte bekräftigt hat, erzürnt die Türkei. Eine "Kreuzfahrermentalität" wirft Ankara dem Papst vor.

Doch Vatikan-Sprecher Federico Lombardi betont, die Worte des Papstes seien eine Botschaft des Friedens. Und auch die Folgen des Brexits lassen Franziskus nicht kalt. Europa müsse angesichts des britischen Referendums verantwortlich handeln, mahnt er schon im Flugzeug.

Frieden nicht selbtverständlich

Seine Kaukasusreise führt Franziskus in eine Region der früheren Sowjetunion, in der Frieden alles andere als selbstverständlich ist. Nicht nur mit der Türkei liegt Armenien im Clinch, die Grenze in das westliche Nachbarland ist seit Jahren dicht. An der Ostgrenze droht zudem ein Konflikt mit Aserbaidschan um das von Baku abtrünnige Gebiet Berg-Karabach zu einem neuen Krieg zu führen.

Zwar spricht Präsident Sersch Sargsjan von Friedensverhandlungen und Koexistenz. Doch beängstigend donnert die sonore Stimme von Katholikos Karekin II., dem Oberhaupt der Armenischen Kirche, beim ökumenischen Friedensgebet mit dem Papst über den Platz der Republik in Eriwan. Das Land befinde sich in einem "unerklärten Krieg" mit Aserbaidschan seit einer Eskalation im April mit 120 Toten.

Umso eindringlicher wirkt das Gebet des Papstes: "Gott segne Eure Zukunft und gewähre, dass der Weg der Versöhnung zwischen dem armenischen und dem türkischen Volk wiederaufgenommen werde und der Frieden auch in Berg-Karabach entstehen möge." Zehntausende Menschen applaudieren dem Papst, wedeln mit gelb-weißen Vatikan-Fähnchen.

Die Menge ist begeistert

Gespannt lauscht die Menge dem italienischen Gebet des Papstes, liest auf Bildschirmen die armenische Übersetzung mit. Viele sind Stunden vor Beginn des Friedensgebets auf den malerischen Platz im Zentrum geströmt, um einen Blick auf den Pontifex zu erhaschen. Familien mit Kindern sind da, schützen sich mit Schirmen vor der prallen Sonne.

"Der Papst ist eine weltweite Autorität; was er sagt, hat Gewicht", sagt Arpine (26). Ihre Freundin Tatewik (27) freut sich, dass der Papst-Besuch eine Gelegenheit ist, die Debatte über den "Völkermord" im Gang zu halten. "Es ist nicht wichtig, ob das Wort gesagt wird oder nicht. Wichtig ist, dass bedeutende Menschen sich dazu äußern und an die Ereignisse von 1915 erinnern", sagt sie.

Kreuz nur Schmuckstück

Zwar gilt Armenien, wo das Christentum der Überlieferung nach im Jahre 301 zur Staatsreligion erhoben wurde, als erste christliche Nation. Mehr als 90 Prozent der Armenier bekennen sich zu ihrer Nationalkirche. Staat und Kirche sind eng miteinander verwoben. Die Kirche sieht sich als Garant der armenischen Identität.

Doch längst nicht jeder, der dem Papst zujubelt, ist religiös. Experten halten die Religiosität in der Ex-Sowjetrepublik für aufgesetzt. "Ein Kreuz an einer Halskette gilt eher als Schmuckstück denn als religiöses Zeichen", sagt der Soziologe Agaron Adibekjan.

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