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Verbindungen zur Gülen-Bewegung

Erdogan lässt 2.341 Einrichtungen schließen

  • Veröffentlicht: 23.07.2016
  • 15:50 Uhr
  • dpa
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© dpa/ Tolga Bozoglu

Die Vorgänge in der Türkei beunruhigen Deutschland, Europa und auch die G20-Gruppe der Top-Wirtschaftsmächte. Das hält den türkischen Präsidenten Erdogan aber nicht auf - die "Säuberung" geht weiter.

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Die türkische Führung geht nach dem Putschversuch und der Ausrufung des Ausnahmezustands immer rigoroser gegen angeblich Verdächtige vor. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ordnete nach Angaben vom Samstag die Schließung von 2.341 Einrichtungen im Land an, darunter Schulen sowie gemeinnützige, gewerkschaftliche und medizinische Institutionen. Zugleich verschärfte die Regierung die Ausreisekontrollen, um vor allem Staatsbedienstete an einer Flucht ins Ausland zu hindern. Die Entwicklung löste international Besorgnis aus, deutsche Politiker forderten Konsequenzen.

Rund 11.000 Reisepässe vor allem von Staatsbediensteten wurden nach offiziellen Angaben für ungültig erklärt. An den Flughäfen müssen Staatsbedienstete nun eine Bescheinigung ihrer Behörde vorlegen, in der ausdrücklich steht, dass ihrer Ausreise nichts im Wege steht. Das gelte auch für Ehepartner und Kinder, hieß es.

Seit Donnerstag Ausnahmezustand

Seit Donnerstag gilt in der Türkei ein 90-tägiger Ausnahmezustand. 37.500 Polizisten und zivile Angestellte wurden seither entlassen, darunter viele Mitarbeiter des Bildungsministeriums. 21.000 Lehrern wurde die Arbeitserlaubnis entzogen. 600 weitere Schulen sollten geschlossen werden, hieß es vom Bildungsministerium. Nach dem Putschversuch ließ die Führung mehr als 10.000 Menschen festnehmen.

Ziel ist es nach den Worten Erdogans, gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen. Erdogan macht den in den USA lebenden Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen der Streitkräfte verantwortlich. Mehr als 260 Menschen wurden getötet. Die Türkei fordert von den USA Gülens Auslieferung.

Nach Angaben türkischer Regierungsvertreter haben alle von der Schließung betroffenen Einrichtungen Verbindungen zur Gülen-Bewegung. Die türkische Führung hat angekündigt, den öffentlichen Dienst von Gülen-Anhängern zu "säubern".

Versäumnisse des Geheimdienstes

Erstmals seit dem gescheiterten Putsch in der Nacht zum 16. Juli traf Erdogan mit dem Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, zu einer Unterredung zusammen. Erdogan sagte, es habe Versäumnisse des Geheimdienstes vor dem Umsturzversuch gegeben. Fidan und Armeechef Hulusi Akar sollen aber vorerst auf ihren Posten bleiben, wie Erdogan im französischen Sender France 24 erklärte.

Die führenden Industrie- und Schwellenländer forderten von ihrem G20-Partner Türkei die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs wollten bei ihrem Treffen im chinesischen Chengdu betonen, dass die Stabilität der Türkei wichtig sei, hieß es aus G20-Kreisen. Eine entsprechende Formulierung sollte es in der G20-Erklärung geben.

Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek hatte zuvor bei einem Symposium in Chengdu den G20-Partnern zugesichert, die demokratischen Regeln einzuhalten. Auch andere G20-Staaten hätten in Bedrohungslagen den Ausnahmezustand verhängt. Die Türkei gehört als aufstrebende Volkswirtschaft zur Gruppe der G20-Länder.

Schäuble wollte am Rande des G20-Treffens in der Millionen-Metropole noch einmal länger mit seinem türkischen Amtskollegen sprechen. "Ich werde ihm natürlich ... schon die große Besorgnis in Deutschland und überall in Europa ... erklären." Er werde ihm sagen, dass das, was in der Türkei stattfinde, nicht dem entspreche, "was wir unter Demokratie und Herrschaft des Rechts verstehen", sagte Schäuble.

Kritik von allen Seiten

Der Deutsche Richterbund hält die Reaktionen der Bundesregierung und der EU auf die Massenfestnahmen von Richtern und Staatsanwälten in der Türkei für zu lasch. Der Vorsitzende des Richterbundes, Jens Gnisa, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag): "Die Bundesregierung erweckt bislang nicht den Eindruck, dass sie sich mit letzter Konsequenz für den Erhalt des Rechtsstaates und einer unabhängigen Justiz in der Türkei einsetzen will."

CSU-Chef Horst Seehofer sprach sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. "Wenn man sieht, wie die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch den Rechtsstaat abbaut, müssen diese Verhandlungen sofort gestoppt werden", sagte Seehofer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen warf Erdogan im SWR vor, die Demokratie in der Türkei "totgesäubert" zu haben. Als Konsequenz forderte sie die Aufkündigung des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Erdogan vor, gewaltsam die Alleinherrschaft anzustreben. "Erst haben wir einen dilettantisch ausgeführten Putsch des Militärs erlebt. Jetzt folgt offensichtlich ein von langer Hand geplanter Staatsputsch", sagte Özdemir der "Passauer Neuen Presse" (Samstag).

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