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Diskussion über Waffengesetze und "Killerspiele"

Politische Debatte nach Amoklauf in München

  • Veröffentlicht: 24.07.2016
  • 15:16 Uhr
  • dpa
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© Matthias Balk/dpa

Noch ist unklar, was genau den Amoklauf von München mit insgesamt zehn Toten ausgelöst hat. Der Täter wurde offenbar von früheren Taten inspiriert. Die politische Debatte über Konsequenzen hat begonnen.

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Der Amoklauf von München hat eine neue Debatte über schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland ausgelöst. Unions-Politiker forderten am Wochenende mehr Videoüberwachung, die Stärkung der Sicherheitsbehörden und den Einsatz der Bundeswehr bei Terroranschlägen. Auch schärfere Waffengesetze sind im Gespräch.

Bei der Bluttat am Freitagabend erschoss ein 18-jähriger Deutsch-Iraner vor einem Einkaufszentrum neun Menschen, sieben davon mit Migrationshintergrund. Bis auf ein 45-jähriges Opfer waren alle zwischen 15 und 20 Jahre alt. Drei Menschen schwebten am Sonntag noch in Lebensgefahr. Insgesamt gab es laut Landeskriminalamt 35 Verletzte.

Merkel: "Wir leiden mit Ihnen" - Weltweite Anteilnahme

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich schockiert gezeigt. Zugleich lobte sie - wie Politiker aller Parteien - die Einsatzkräfte für ihre "hoch professionelle" Arbeit. Nun gehe es darum, die Morde vollständig aufzuklären. Deutschland trauere "mit schwerem Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden", sagte Merkel am Samstag. Sie fügte an die Adresse der Angehörigen hinzu: "Wir denken an Sie, wir teilen Ihren Schmerz, wir leiden mit Ihnen."

Nahe dem Tatort in München legten zahlreiche Menschen zum Gedenken an die Opfer Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Der Amoklauf sorgt weltweit für Entsetzen und Anteilnahme. In der französischen Hauptstadt Paris erstrahlte der Eiffelturm am Samstagabend in Gedenken an die Opfer in den deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold. Papst Franziskus reagierte bestürzt, bekundete den Hinterbliebenen in einem Telegramm an den Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx seine Anteilnahme und dankte den Sicherheitskräfte. Viele Präsidenten und Regierungschefs sowie Prominente und Sportler weltweit drückten den Hinterbliebenen ihr Beileid aus und verurteilten den Amoklauf scharf.

Amokläufer beging Selbstmord

Der Täter hatte sich selbst erschossen. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (Montag) hat er sich bei seiner Tat stärker am norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik und dem Amokläufer von Winnenden orientiert als bislang bekannt. Er war nach Informationen des Blattes selbst nach Winnenden gefahren, hatte sich dort umgesehen und Fotos gemacht. Außerdem hatte er ein selbstverfasstes "Manifest" auf seinem Rechner. Am Freitag, dem Tag des Münchner Amoklaufs mit zehn Toten, hatte sich die Bluttat des Norwegers Anders Behring Breivik zum fünften Mal gejährt.

Bei der Tatwaffe vom Typ Glock 17 und einem Kaliber von neun Millimetern, mit der der 18-jährige Münchner Einzeltäter am Freitagabend neun Menschen und dann sich selbst erschoss, soll es um eine Theaterwaffe gehandelt haben, die zunächst unscharf und später wieder gebrauchsfähig gemacht wurde. Die Waffe trage ein Prüfzeichen aus der Slowakei, der Täter habe sie sich aus dem Darknet beschafft, wo sich Internetnutzer fast unerkannt bewegen können. Die "SZ" berief sich dabei auf Informationen aus Ermittlerkreisen.

Schärfere Waffengesetze notwendig?

In den Blickpunkt rücken zudem die Waffengesetze: De Maizière sagte der "Bild am Sonntag", zunächst müsse ermittelt werden, wie der Amokläufer an die Tatwaffe gelangt sei. "Dann müssen wir sehr sorgfältig prüfen, ob und gegebenenfalls wo es noch gesetzlichen Handlungsbedarf gibt." Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel betonte im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Die Waffenkontrolle ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen weiter alles tun, um den Zugang zu tödlichen Waffen zu begrenzen und streng zu kontrollieren." Der SPD-Politiker sagte zudem, Staat und Gesellschaft müssten bei psychisch instabilen Menschen "hinsehen und intervenieren - gerade bei Jugendlichen".

Der innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, warnte am Sonntag vor vorschnellen Schlüssen. Allerdings bleibe das Waffenrecht auf der Tagesordnung, denn auf EU-Ebene werde derzeit über eine neue Waffenrichtlinie gesprochen. Dabei geht es vor allem um den Kampf gegen illegalen Waffenhandel.

Bundesregierung erwog offenbar Bundeswehr-Einsatz im Inneren

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach sich für Bundeswehr-Einsätze bei besonderen Terrorlagen aus. "Die Bundeswehr muss, wohlgemerkt immer unter Federführung der Länder, die für die innere Sicherheit zuständig sind, in Fällen akuter, extremer Bedrohung auch im Inneren zum Schutz der Bürger eingesetzt werden können", sagte er der dpa.

Während des Amoklaufs in München wurden Feldjäger, quasi die Polizei der Bundeswehr, in Bereitschaft versetzt. Bundeswehreinsätze bei Terroranschlägen im Inneren sind umstritten. Seit Jahren wird über eine Grundgesetzänderung diskutiert, um solche Einsätze zu erleichtern. Union und SPD haben sich im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik auf den Kompromiss verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Anschlägen auch ohne Grundgesetzänderung eingesetzt werden kann.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach sich am Samstagabend in der ARD dafür aus, die Einsatzkonzepte der Polizei noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will nach dem Amoklauf die Polizei besser ausstatten. Er ließ durchblicken, dass es mehr Geld für die Polizei geben soll - für zusätzliche Stellen wie für bessere Ausrüstung. Am Freitagabend waren etwa 2.300 Polizisten im Einsatz gewesen, darunter auch die Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei.

Neue Diskussion über "Killerspiele"

Auf Hass dürfe nicht mit Hass reagiert werden, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller der "Welt am Sonntag". Außerdem könne eine Großstadt wie Berlin nicht an jede Ecke einen Polizisten stellen. "Ebenso wenig können Sozialarbeiter überall einen Blick hineinwerfen", sagte der SPD-Politiker.

Der Täter war für die Sicherheitsbehörden ein unbeschriebenes Blatt. "Gegen ihn waren bisher keine polizeilichen Ermittlungen bekannt", sagte de Maizière. "Und es gibt auch keine Erkenntnisse der Nachrichtendienste über diese Person." Möglicherweise sei der junge Mann gemobbt worden. De Maizière machte brutale Internetvideos und Computerspiele für Gewaltexzesse wie in München mitverantwortlich.

Dreitägige Staatstrauer im Kosovo

Der Amokschütze, der in München aufgewachsen ist und zur Schule ging, hatte nach ersten Erkenntnissen von Ermittlern eine Erkrankung "aus dem depressiven Formenkreis". "Wir haben einige Hinweise dafür, dass eine nicht unerhebliche psychische Störung bei dem Täter vorliegen könnte", sagte auch Bayerns Innenminister Herrmann.

Die Getöteten stammten nach Angaben des Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä alle aus München und Umgebung. Zwei 15-Jährige und drei 14-Jährige seien ums Leben gekommen, so die Ermittler. Weitere Opfer seien 17, 19, 20 und 45 Jahre alt gewesen. Unter den neun Todesopfern seien drei Frauen. Drei Tote stammten aus dem Kosovo. Der Präsident des Balkanstaates, Hashim Thaci, ordnete für Sonntag Staatstrauer an.

Bundesinnenminister traf Angehörige

"Einen Tatort zu begehen, geht ins Mark. Um die Eltern zu wissen, die um ihre Kinder weinen, die Freunde, die um ihre Schulkameraden trauern. All das ist bitter", sagte de Maizière in München. Er appellierte an die Menschen in Deutschland und Europa, ruhig zu bleiben. "Ich verstehe, dass die Bevölkerung besonders aufgewühlt ist. Nach Nizza, Würzburg nun München - es ist sehr wichtig, dass wir jeden Fall einzeln aufklären, dass wir die Hintergründe verstehen und die richtigen Konsequenzen ziehen können."

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