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Inzwischen mehr als 13.000 Festnahmen

Yildirim: Erdogans Präsidentengarde wird aufgelöst

  • Veröffentlicht: 24.07.2016
  • 12:29 Uhr
  • dpa
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© dpa/EPA/Str

Präsident Erdogan verschärft die Gangart unter dem Ausnahmezustand in der Türkei noch einmal. Auch die wachsende Kritik aus dem Ausland stoppt die "Säuberungen" nicht. Die Regierung verdächtigt nun sogar die Präsidentengarde, von Gülen-Anhängern unterwandert zu sein. Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte am Samstagabend die Auflösung der Einheit an.

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Unter dem Ausnahmezustand in der Türkei hat Präsident Recep Erdogan in seinem ersten Dekret die Schließung von mehr als 2.300 Schulen und anderen Einrichtungen verfügt. Außerdem können Verdächtige mit dem Erlass ab sofort in bestimmten Fällen 30 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Bislang waren maximal vier Tage möglich. Erdogan sagte in der Nacht zum Sonntag, seit dem gescheiterten Putsch seien mehr als 13.000 Menschen festgenommen worden. Knapp 6.000 davon seien in Untersuchungshaft.

Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch aus den Reihen des Militärs mit mindestens 270 Toten verantwortlich. Der Präsident hat angekündigt, staatliche Stellen von Gülen-Anhängern zu "säubern". Sait Gülen, ein Neffe des islamischen Predigers, wurde im osttürkischen Erzurum in Gewahrsam genommen.

Yildirim: Elite-Einheit werde nicht mehr benötigt

Die Regierung verdächtigt offenbar sogar Erdogans Präsidentengarde, von Gülen-Anhängern unterwandert zu sein. Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte am Samstagabend die Auflösung der Einheit an. Binali sagte dem Sender A Haber, für die Garde gebe es keine Notwendigkeit mehr. Am Freitag waren 283 Soldaten des Spezialkräfte-Regiments am Präsidentenpalast in Ankara festgenommen worden.

Erdogan ordnete in seinem Dekret an, landesweit 2.341 Einrichtungen mit mutmaßlichen Gülen-Verbindungen zu schließen. Darunter sind 1.043 private Schulen, 1.229 gemeinnützige Einrichtungen, 19 Gewerkschaften, 15 Universitäten und 35 medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser. Die Entwicklungen in der Türkei lösten international Besorgnis aus, deutsche Politiker forderten Konsequenzen.

Inzwischen mehr als 13.000 Personen verhaftet

Erdogan sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, die Zahl der Festnahmen seit dem Putschversuch in der Nacht zum 16. Juli sei auf 13.165 gestiegen. Bei ihnen handele es sich um 8.838 Soldaten, 1.485 Polizisten, 2.101 Richter und Staatsanwälte, 52 Behördenleiter und 689 weitere Zivilisten. 5.862 der Verdächtigen seien in Untersuchungshaft genommen worden, darunter 1.559 Richter und Staatsanwälte sowie 123 Generäle. Aus Regierungskreisen hieß es, auch ein enger Mitarbeiter Gülens sei gefasst worden. Er sei offenbar kurz vor dem Putschversuch in die Türkei eingereist.

Nach einem Bericht von Anadolu waren alleine bis zum Wochenende mehr als 44.500 Staatsbedienstete suspendiert worden, die verdächtigt werden, Verbindungen zu dem Putschversuch zu haben. Erdogan kündigte in der Nacht zum Sonntag an, wer wegen Terrorverbindungen aus dem öffentlichen Dienst entfernt werde, könne nicht dorthin zurückkehren. Bereits am Freitag hatte die Regierung die Ausreisekontrollen erschwert, um Verdächtige an einer Flucht ins Ausland zu hindern.

Reiseverbot für viele Beamte und deren Angehörige

Rund 11.000 Reisepässe vor allem von Staatsbediensteten wurden nach offiziellen Angaben für ungültig erklärt. An den Flughäfen müssen Staatsbedienstete nun eine Bescheinigung ihrer Behörde vorlegen, in der steht, dass ihrer Ausreise nichts im Wege steht. Das gilt auch für Ehepartner und Kinder. Noch am Donnerstag hatte die Türkei die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise suspendiert.

Erstmals seit dem gescheiterten Putsch traf Erdogan am Freitagabend mit dem Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, zusammen. Erdogan hat Versäumnisse des MIT vor dem Umsturzversuch bemängelt. Fidan und Armeechef Hulusi Akar sollen aber vorerst auf ihren Posten bleiben, wie Erdogan im französischen Sender France 24 erklärte.

G20 fordern Rechtsstaatlichkeit ein

Die führenden Industrie- und Schwellenländer forderten von ihrem G20-Partner Türkei die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs wollten bei ihrem Treffen im chinesischen Chengdu betonen, dass die Stabilität der Türkei wichtig sei, hieß es aus G20-Kreisen.

Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek hatte zuvor bei einem Symposium in Chengdu den G20-Partnern zugesichert, die demokratischen Regeln einzuhalten. Auch andere G20-Staaten hätten in Bedrohungslagen den Ausnahmezustand verhängt. Die Türkei gehört als aufstrebende Volkswirtschaft zur Gruppe der G20-Länder.

Erdogan kann derzeit per Dekret regieren

CSU-Chef Horst Seehofer sprach sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. "Wenn man sieht, wie die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch den Rechtsstaat abbaut, müssen diese Verhandlungen sofort gestoppt werden", sagte Seehofer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Erdogan vor, gewaltsam die Alleinherrschaft anzustreben. "Erst haben wir einen dilettantisch ausgeführten Putsch des Militärs erlebt. Jetzt folgt offensichtlich ein von langer Hand geplanter Staatsputsch", sagte Özdemir der "Passauer Neuen Presse" (Samstag).

Seit der Verhängung des 90-tägigen Ausnahmezustands kann Erdogan per Dekret regieren. Die Erlasse werden mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger wirksam, das Parlament muss sie nachträglich billigen oder ablehnen. Sie können nicht vor dem Verfassungsgericht angefochten werden. Im Parlament verfügt Erdogans AKP über eine stabile Mehrheit. Die Nationalversammlung hatte den Ausnahmezustand am Donnerstag auch mit Stimmen aus der Opposition gebilligt.

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