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Berlin für neue staatliche Seenotrettungsmission im Mittelmeer

  • Veröffentlicht: 16.08.2019
  • 20:04 Uhr
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© (c) SeaWatch

Jede Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge im Mittelmeer durch private Schiffe wird inzwischen zur Hängepartie. Die Bundesregierung und die EU-Kommission finden das untragbar. Berlin wüsste einen Ausweg - wenn die anderen Europäer mitspielen würden.

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Die Bundesregierung macht sich für eine neue staatliche Seenotrettungsmission im Mittelmeer nach dem Vorbild der vor Jahren gestoppten EU-Operation Sophia stark. "Wir haben mit Überzeugung an dieser Mission teilgenommen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Es gebe aber zur Verteilung geretteter Flüchtlinge in der EU derzeit keine Einigung. "Wir würden ein neues Mandat, wenn es diese Einigung gäbe, begrüßen."

Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte, er unterstütze den Vorschlag, wieder eine staatlich über die Europäische Union organisierte Rettung von Migranten einzuführen. "Es ist unverzichtbar, Menschen vor dem Ertrinken zu retten", sagte der CSU-Politiker in Dresden.

Die EU hatte im Frühjahr ihren 2015 gestarteten Sophia-Marineeinsatz vor der libyschen Küste gestoppt und kann dort nun keine Migranten mehr aus Seenot bergen. Grund ist, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf ein System zur Verteilung einigen konnten. Ziel der Aktion war es ursprünglich, durch die Bekämpfung der Schleuserkriminalität die Migration einzudämmen. In der Praxis wurde daraus vor allem ein Einsatz zur Rettung von Schutzsuchenden von nicht seetauglichen oder sinkenden Booten.

EU-Kommission pocht auf Lösungen

Angesichts der jüngsten Hängepartie um das Rettungsschiff «Open Arms» pochte auch die EU-Kommission auf Lösungen. "Die Situation, dass Menschen tage- und wochenlang auf See festsitzen, ist unhaltbar", sagte eine Sprecherin der Behörde. "Einmal mehr werden wir daran erinnert, dass verlässliche und dauerhafte Lösungen im Mittelmeer dringend nötig sind, um sicherzustellen, dass Menschen schnell und sicher von Bord gehen können, und die Hilfe erhalten, die sie benötigen."

Zuvor hatten sich sechs europäische Staaten zur Aufnahme von Menschen von dem blockierten Rettungsschiff "Open Arms" bereiterklärt. Nach Angaben von Italiens Premier Giuseppe Conte vom Donnerstag handelt es sich um Frankreich, Deutschland, Rumänien, Portugal, Spanien und Luxemburg. Die Menschen sind zum Teil seit zwei Wochen auf dem Schiff, das sich seit Donnerstag in unmittelbarer Nähe der italienischen Insel Lampedusa befindet.

Wegen "medizinischer Komplikationen" gingen nach Angaben der spanischen Hilfsorganisation Proactiva Open Arms weitere Migranten von Bord. Drei Menschen bräuchten dringend eine besondere Behandlung, twitterte Proactiva am Freitag. Zusätzlich konnte ein Angehöriger das Schiff verlassen. Auch die übrigen 134 Migranten müssten schnellstmöglich an Land gehen, forderten die Seenotretter.

"Situation dramatisch"

Die Situation sei dramatisch, meinte EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Die Menschen an Bord würden verzweifeln, sich selbst verletzen und unter Realitätsverlust leiden. Sein Büro sei mit dem Kapitän in Kontakt gewesen, der kaum erträgliche Zustände geschildert habe. "Ich hoffe, dass die italienischen Behörden den Ernst des humanitären Notstands an Bord des Schiffes verstehen und es in den Hafen einfahren lassen."

Seit Amtsantritt der populistischen Regierung in Rom aus der rechten Lega von Innenminister Matteo Salvini und der Fünf-Sterne-Bewegung wurde Rettungsschiffen immer wieder die Einfahrt in Häfen verweigert.

Südlich von Sizilien und unweit von Malta wartete das Rettungsschiff «Ocean Viking» in internationalen Gewässern mit 356 geretteten Migranten auf die Erlaubnis, in einen Hafen einfahren zu können. Die Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen hatten die Menschen in mehreren Rettungseinsätzen in Sicherheit gebracht.

In einer Woche seien schon Hundert Menschen in der Klinik an Bord gewesen, sagte Stefanie von Ärzte ohne Grenzen der Deutschen Presse-Agentur, die Hebamme an Bord ist und das medizinische Team leitet. Sie seien erkältet, hätten Infektionen der Atemwege oder viele Arten von Verletzungen, die sie etwa aus ihrer Zeit aus Libyen mitbrachten. "Nach den ersten Tagen kommen jetzt auch bei einigen die ersten Zeichen von den psychologischen Traumata durch." Generell gehe es den Geretteten körperlich aber gut. "Wir erwarten natürlich, länger ausharren zu müssen, das ist aber natürlich nicht unser Ziel", sagte Stefanie, die ihren Nachnamen nicht in den Medien lesen möchte.

Seibert für staatliche Lösung

Seibert betonte, die Bundesregierung hätte eine Fortführung der Mission Sophia bevorzugt. Beim derzeitigen Ad-hoc-Verfahren, bei dem bei jeder Rettung von Flüchtlingen in der EU erneut über deren Verteilung verhandelt wird, an der sich dann nur wenige Staaten beteiligen, könne es nicht bleiben. "Wir glauben, dass das besser, solidarischer und unter Beteiligung von mehr Staaten organisiert werden sollte", sagte Seibert.

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte der dpa: "Seenotrettung und Migrationspolitik dürfen nicht privaten NGOs überlassen werden, sondern müssen durch demokratisch legitimierte Regierungen geregelt werden." Zugleich warnte sie: "Wer glaubt, mehr Schiffe vor Libyen bedeuteten weniger Seenot, übersieht den damit verbundenen schlimmen Anreiz für die Schleuser, noch mehr seeuntaugliche Boote loszuschicken."

In der Ägäis setzten am Freitag 258 Migranten aus der Türkei zu den griechischen Inseln oder zum griechischen Festland über. Vor der griechischen Hafenstadt Alexandroupolis griff die griechische Küstenwache 42 Migranten auf. Sie waren von der nur wenige Kilometer entfernten türkischen Küste gestartet, wie die Küstenwache mitteilte. Vor den Inseln Samos und Chios entdeckte diese 216 Migranten.

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