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Krise in Katalonien

Rajoy räumt in Katalonien auf: Retter oder «Brandstifter»?

  • Veröffentlicht: 22.10.2017
  • 15:36 Uhr
  • dpa
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© dpa

Mariano Rajoy greift in Katalonien härter durch als erwartet. Nach dem grünen Licht des Senats will er die separatistische Regionalregierung absetzen und Neuwahlen ausrufen. Ist der Konflikt zu Ende? Kaum. Die Angst vor Gewalt wächst.

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Die Separatisten in Katalonien stehen vor dem Aus. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy kündigte die Absetzung des aufmüpfigen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont und aller Kabinettsmitglieder an. Der Countdown läuft: Schon am Freitag wird der Senat für diese und weitere Zwangsmaßnahmen grünes Licht geben. Innerhalb von sechs Monaten soll es Neuwahlen geben.

«Die Regierung stellt in Katalonien die verfassungsmäßige Ordnung wieder her», jubelte am Sonntag die Zeitung «El País». Dass der Unabhängigkeitsbewegung damit aber der Todestoß versetzt wird, bezweifeln Beobachter.

Hunderttausende auf die Straße

Schon wenige Stunden nach der Rajoys Ankündigung gingen in Barcelona Hunderttausende Katalanen auf die Straße, um gegen Madrid zu protestieren. Die Polizei meldete mindestens 450 000 Teilnehmer der Kundgebung. Die Demonstranten - darunter Puigdemont und Bürgermeisterin Ada Colau - skandierten unter anderem «Freiheit, Freiheit!». Viele riefen: «Wir werden die Besetzung Kataloniens nicht zulassen!»

Die Regierung Rajoy reagierte mit den angekündigten Zwangsmaßnahmen auf die Weigerung Puigdemonts, ein für Donnerstag gesetztes Ultimatum zu erfüllen und das Streben nach Unabhängigkeit zu beenden. Rechtliche Grundlage der Pläne ist Verfassungsartikel 155, der bisher in Spanien nie zur Anwendung gekommen war. Keine Regierung dürfe akzeptieren, «dass das Gesetz verletzt und ignoriert wird», sagte der Ministerpräsident.

Puigdemont hatte unter anderem am 1. Oktober ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten lassen. 90 Prozent der Teilnehmer stimmten für eine Abspaltung von Spanien. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei gut 40 Prozent. Nach der Abstimmung stellte Puigdemont eine baldige Ausrufung der Unabhängigkeit in Aussicht.

Regierungsabsetzung und Ausruf von Neuwahlen

Die Maßnahmen zur «Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit und des friedlichen Zusammenlebens», wie Rajoy sagte, sehen neben der Absetzung der Regionalregierung und der Neuwahl auch vor, dass die Befugnisse des Parlaments in Barcelona bis zur Auflösung stark eingeschränkt werden. Madrid will zudem unter anderem auch die Kontrolle über Polizei, Finanz- und andere Behörden übernehmen und auch die amtlichen katalanischen Medien unter Kontrolle stellen.

Nach seiner Teilnahme an der Protestkundgebung wies Puigdemont in einer TV-Ansprache die Maßnahmen als «Putsch» sowie als «inakzeptablen Angriff auf die Demokratie» zurück. Der Separatisten-Chef beteuerte, man werde weiter kämpfen. Bei der Zurückweisung des letzten Ultimatums aus Madrid hatte Puigdemont zuvor gewarnt, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen könne Katalonien zu einer Unabhängigkeitserklärung bewegen.

Sollte die Unabhängigkeit ausgerufen werden, müsste Puigdemont seine sofortige Inhaftierung fürchten. Generalstaatsanwalt José Manuel Maza hat für diesen Fall schon einen Strafantrag wegen Rebellion in der Schublade, wie er sagte. Puigdemont würde aufgrund «der Schwere der Straftat» wohl sofort in Untersuchungshaft genommen werden. Für Rebellion sieht das spanische Gesetz Haftstrafen von bis zu 30 Jahren vor.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen reihen sich ein in Autonomie-Forderungen anderer europäischer Regionen. In Nord-Italien stimmten die Bürger der Lombardei und Venetiens am Sonntag über weitere Kompetenzen für ihre Regionalregierungen ab. Vor allem geht es dort darum, das erwirtschaftete Geld in der Region zu halten - Unabhängigkeit sei kein Ziel, so die Verantwortlichen.

Katalanen geben nicht auf

Die Katalanen schlagen indes alle Warnungen in den Wind. Die Parlamentschefin in Barcelona, Carme Forcadell, verkündete mit entschlossener Miene: «Wir werden keinen Schritt zurückweichen.»

In Spanien wachsen die Sorgen vor einer Eskalation - und auch im Ausland. Als «höchstgefährlich und wenig erfolgversprechend» bezeichnete der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Ulrich Delius, die Maßnahmen. Es sei «ein fatales Zeichen für Katalanen, Basken, Galizier, Andalusier und andere Nationalitäten, dass Spaniens Regierung Autonomie-Modelle nicht ernst nimmt, sondern wie zu Zeiten von Diktator Franco auf einen starken Zentralstaat setzt».

Der frühere FC Bayern-Coach Pep Guardiola, selbst stolzer Katalane, klagte: «Ich dachte, im 21. Jahrhundert passiert so etwas nicht.» Der Fußball-Trainer warnt aber auch Madrid: «Die Stimme des Volkes ist stärker als jedes Gesetz.»

Sogar in den Reihen von Rajoys konservativer Volkspartei (PP) wird voller Sorge in die Zukunft geschaut. Die frühere PP-Abgeordnete und Geschichtswissenschaftlerin Cayetana Álvarez de Toledo schrieb in der Zeitung «El Mundo», der Separatismus werde nicht das Handtuch werfen. Es werde eine Reaktion in Katalonien geben, «und die wird nicht besonders friedlich sein.» Sie schließt auch einen «Tabubruch» und den «Einsatz des Militärs» nicht aus.

Rajoy soll sich laut «El Mundo» lange vor der Anwendung von Artikel 155 gescheut und Berater gefragt haben: «Was ist, wenn sie (die Katalanen) nicht gehorchen?» Der als zögerlich kritisierte Regierungschef wurde am Wochenende in Madrid, wo Katalonien ein rotes Tuch ist, als Retter gefeiert. «Endlich hat er cojones (Eier) gezeigt», jubelten im Café Rentner José und seine Freunde. Pablo Echenique, Sprecher der linken Partei Podemos, der drittstärksten Kraft im Madrider Parlament, bezeichnete Rajoy dagegen als «Brandstifter».

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