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54. Münchner Sicherheitskonferenz

Viele Krisen, keine Lösungen: Münchner Tage der ratlosen Diplomaten

  • Veröffentlicht: 18.02.2018
  • 17:01 Uhr
  • dpa
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So viel Unsicherheit war selten bei der Sicherheitskonferenz. Rivalen ziehen in München übereinander her, schütten Öl ins Feuer oder präsentieren Trümmerteile. Wo ist der neue Weltpolizist?

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Rufe nach mehr Europa in der Welt und die Angst vor neuen bewaffneten Konflikten haben die Münchner Sicherheitskonferenz dominiert. Einmal mehr prägten die seit Jahren verhärteten Fronten im Nahen Osten, in der Ukraine sowie die Spannungen zwischen den USA und Russland die dreitägige Konferenz. Redner wie Außenminister Sigmar Gabriel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker skizzierten angesichts des Rückzugs der USA unter Präsident Donald Trump als Ordnungsmacht eine fragile internationale Ordnung mit ungewissem Ausgang. Rund 500 Politiker und Experten berieten auf der Sicherheitskonferenz über Krisen der Welt.

Warnung mit einem Drohnenteil

Zum Abschluss am Sonntag demonstrierten Israel und der Iran auf offener Bühne ihren Konfrontationskurs. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief dazu auf, sich dem Iran entschlossen entgegenzustellen. Als Beweis für die aggressive Politik von Teheran präsentierter er nicht nur das Trümmerteil einer abgeschossenen Drohne, die aus dem Iran stammen soll. Für Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif fand er zudem drastische Worte: "Herr Sarif erkennen Sie das? Es gehört Ihnen. Sie können es mit einer Botschaft an die Tyrannen mit nach Teheran zurücknehmen: Stellen Sie unsere Entschlossenheit nicht auf die Probe."

Sarif, der bei Netanjahus Rede nicht im Raum war, bezeichnete den Auftritt wenig später als "Zirkus", warnte aber ebenfalls vor einer bewaffneten Auseinandersetzung im Nahen Osten: "Aktuell ist es so, dass wir ganz nah vor einem eskalierenden Konflikt stehen." Israel falle täglich in den syrischen Luftraum ein. In der Region dürfe es keinen Alleinherrscher mehr geben: "Die Zeit der Hegemonie ist vorbei - regional wie global." Sarif machte seinerseits das Verhalten der USA und Israels verantwortlich für die Probleme im Nahen Osten, dies dürfe nicht dem Iran vorgeworfen werden.

"Herrenreligion propagiert"

Netanjahu zog dagegen Parallelen zwischen dem Iran und Nazi-Deutschland. Der Iran habe öffentlich erklärt, Israel mit seinen sechs Millionen Juden auslöschen zu wollen, sagte der Regierungschef. "Die einen haben eine Herrenrasse propagiert, die anderen propagieren eine Herrenreligion."

Auch der saudische Außenminister Adel al-Dschubair sah die Verantwortung unmissverständlich auf der Seite des Iran: "Wir möchten, dass der Iran sein Verhalten grundlegend ändert", sagte er. Die Denkweise, nach dem Atomabkommen werde der Iran sein Verhalten verändern, sei eine Fiktion. Im Atomabkommen von 2015 hatte sich Iran verpflichtet, für mindestens ein Jahrzehnt wesentliche Teile seines Atomprogramms drastisch zu beschränken, um keine Atomwaffe bauen zu können. Im Gegenzug wurden die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben.

Militärisch eigenständige EU

Bereits am Freitag und Samstag hatten viele europäische Politiker vor allem ihren Wunsch nach mehr militärischer Eigenständigkeit der EU betont - auch als Reaktion auf die Politik von US-Präsident Trump. Gabriel forderte, Europa müsse in der Welt mehr Machtbewusstsein entwickeln, dadiese stehe an einem gefährlichen Abgrund stehe. Der Syrien-Konflikt bewege sich nach sechs blutigen Jahren als Bürger- und Stellvertreterkonflikt in eine Richtung, "die akute Kriegsgefahr selbst für unsere engen Partner" bedeute.

Juncker sagte: "Wir waren lange Zeit nicht weltpolitikfähig. Die Umstände bringen es mit sich, dass wir uns um Weltpolitikfähigkeit bemühen müssen." Auch nach Ansicht von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) muss Europa «militärisch mehr Gewicht in die Waagschale» legen. Sie warf Trump einen einseitigen Kurs vor: "Auch unsere amerikanischen Freunde haben eine kostbare Verpflichtung jenseits des Militärischen."

Mit Vergeltungsschlägen gedroht

Der einzige hochrangige Redner der US-Regierung, Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, drohte dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad weitere Vergeltungsschläge für Chemiewaffeneinsätze im Bürgerkrieg an. "Fotos zeigen ganz klar, dass Assad weiter Chemiewaffen einsetzt", sagte der Berater von Trump. Alle Staaten müssten die Assad-Regierung dafür verantwortlich machen. Russland gilt als Verbündeter von Assad.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte EU, Nato und die USA zu einem respektvollen Umgang mit seinem Land auf. Es werde "Propaganda" betrieben, der wachsende Einfluss Russlands werde nur negativ gesehen. Dabei wolle Russland ein verlässlicher Partner sein. "Wir sind bereit, in einen offenen, von Respekt getragenen Dialog einzutreten." Er rief zu mehr Zusammenarbeit auf, insbesondere mit der EU, auch in internationalen Konflikten, etwa im Nahen Osten. "Wir möchten eine berechenbare EU, eine starke EU haben, die ein verantwortungsvoller Akteur ist im außenpolitischen Rahmen weltweit."

Klage über Erdogan-Kritiker Özdemir

Am Rande der Konferenz sorgte auch eine Begegnung des früheren Grünen-Chefs Cem Özdemir mit einer türkischen Delegation für Unruhe. Der Bundestagsabgeordnete erhielt Polizeischutz, nachdem sich in seinem Hotel Sicherheitskräfte von Ministerpräsident Binali Yildirim über Özdemirs Anwesenheit beklagt hatten. Zu dem zufälligen Treffen war es einen Bericht der "Welt am Sonntag" am Freitag gekommen.

Özdemir ist ein scharfer Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und steht bei öffentlichen Auftritten seit längerem unter Personenschutz. "Dass ich auf einer Sicherheitskonferenz Sicherheit brauche, ist aber auch für mich neu gewesen", sagte er der dpa. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wies die Vorwürfe zurück und war Özdemir Lüge und Wichtigtuerei vor.

Auch die Absage des ersten Außenminister-Treffens zur Ukraine-Krise seit einem Jahr sorgt am Wochenende für Diskussionen. Im Zentrum steht die Frage, ob Gabriel das Gespräch mit seinen Amtskollegen aus Russland, Ukraine und Frankreich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz platzen ließ, um nach der Freilassung des deutsch-türkischen "Welt"-Journalisten Deniz Yücel an einer Pressekonferenz in Berlin teilnehmen zu können. Nach Informationen der «Bild am Sonntag» hätten einige Diplomaten über diese Prioritätensetzung den Kopf geschüttelt.

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