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Menschenwürde vor Gericht

Zu wenig zum Leben? - Verfassungsgericht prüft Hartz-IV-Kürzungen

  • Veröffentlicht: 13.01.2019
  • 11:30 Uhr
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© (c) dpa-Zentralbild

Mit fast einer Million Sanktionen jährlich bringen die Jobcenter Hartz-IV-Empfänger auf Linie: Wer nicht kooperiert, bekommt weniger Geld. Sozialrichter wollen dem in Karlsruhe ein Ende bereiten.

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Hartz-IV-Empfängern, die ihre Pflichten vernachlässigen, wird auf Monate Geld gestrichen - aber darf der Staat überhaupt Menschen in Existenznot bringen, um Druck auszuüben? Am Dienstag nimmt das Bundesverfassungsgericht die Leistungskürzungen unter die Lupe, die im schlimmsten Fall so weit gehen können, dass jemand ohne Unterstützung dasteht. Zur Verhandlung in Karlsruhe wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erwartet. (Az. 1 BvL 7/16)

Die Überprüfung angestoßen hat das Sozialgericht im thüringischen Gotha. Die Richter dort halten die Sanktionen für verfassungswidrig. Sie sehen unter anderem das vom Grundgesetz garantierte menschenwürdige Existenzminimum verletzt: Betroffenen drohten Schulden, Obdachlosigkeit, Krankheit und Hunger. Weil sie sich nicht eigenmächtig über Gesetze hinwegsetzen dürfen, haben sie ein Verfahren ausgesetzt, um die Vorschriften in Karlsruhe vorzulegen.

Klage gegen Sanktionen

Der Arbeitslose, der in Gotha geklagt hat, hatte vom Jobcenter Erfurt eine Stelle als Lagerarbeiter angeboten bekommen. Er lehnte ab, weil er lieber im Verkauf arbeiten wollte. Einen Gutschein über eine Art Probepraktikum in diesem Bereich ließ er später verfallen. Das Jobcenter kürzte ihm deshalb 2014 die monatliche Grundsicherung - erst um 30 Prozent um 117,30 Euro, dann um 60 Prozent um 234,60 Euro.

Hartz-IV-Empfänger sind gesetzlich verpflichtet, sich aktiv um ein Ende ihrer Hilfebedürftigkeit zu bemühen. Kommen sie dem ohne wichtigen Grund nicht nach, drohen Leistungskürzungen in mehreren Stufen. Auch die Übernahme der Kosten für die Unterkunft kann gestrichen werden. Im äußersten Fall fallen sämtliche Leistungen weg. Junge Menschen unter 25 Jahren werden besonders scharf sanktioniert.

Vor allem Terminprobleme

2017 verhängten die Jobcenter fast eine Million Sanktionen. Davon kann allerdings mehrfach dieselbe Person betroffen sein. In gut drei Viertel der Fälle hatten die Betroffenen einen Termin beim Jobcenter versäumt. Dafür werden die Leistungen um zehn Prozent gekürzt.

In der bereits veröffentlichten Verhandlungsgliederung werfen die Richter eine Vielzahl von Fragen auf. Beispielsweise wollen sie wissen, ob die Kinder von Hartz-IV-Empfängern vor den Auswirkungen der Leistungskürzungen ausreichend geschützt sind. Nachfragen provoziert auch, dass das Geld gleich für drei Monate gestrichen wird - auch wenn der Betroffene inzwischen Besserung gelobt hat.

Premiere für den Gerichtspräsidenten

Die ganztägige Verhandlung ist die erste, die von dem früheren Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth geleitet wird. Der 47-Jährige war Anfang Dezember als neuer Vorsitzender des Ersten Senats und Vizegerichtspräsident nach Karlsruhe gewechselt. 2020 wird er aller Voraussicht nach Nachfolger von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.

14 Jahre nach der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV wird auch in der Politik über eine Reform diskutiert. SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles hatte im November angekündigt: "Wir werden Hartz IV hinter uns lassen." Minister Heil will noch in diesem Jahr die scharfen Sanktionen für Unter-25-Jährige und die Kürzung der Unterkunftskosten abschaffen. In der großen Koalition mit der Union dürfte das aber nicht leicht umzusetzen sein.

Beanstandet das Verfassungsgericht das Sanktionssystem, würde das eine Reform erzwingen. Nach der Verhandlung berät der Senat im Geheimen. Das Urteil wird meist einige Monate später verkündet.

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