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Warnstreik stürzt Bahn ins Chaos

An den Stellhebeln der Macht

  • Veröffentlicht: 10.12.2018
  • 15:02 Uhr
  • dpa
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© Boris Roessler/dpa

Die Schlagkraft des Warnstreiks überrascht. Die Bahngewerkschaft EVG zeigt überdeutlich ihre Fähigkeit zum Arbeitskampf. Nun scheint wieder Zeit für Deeskalation.

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Er war relativ kurz, aber heftig: Ein vierstündiger Warnstreik bei der Deutschen Bahn hat den Zugverkehr am Montag in weiten Teilen lahmgelegt. Der Fernverkehr wurde bundesweit eingestellt, im Regionalverkehr ging vielerorts nicht viel. In allen Teilen der Republik gab es zahlreiche Zugausfälle und Verspätungen.

Die Wucht dieses ersten Warnstreiks in dem Tarifkonflikt zeigte, dass die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) buchstäblich an den Stellhebeln der Macht sitzt. Der Effekt war so groß, weil viele EVG- Mitglieder in Werkstätten und Stellwerken die Arbeit niederlegten. So kamen die Züge gar nicht an ihren Einsatzort. Zumindest auf den ICE- und Intercity-Strecken ging gar nichts mehr.

"Wir haben den Leuten diesmal relativ freie Hand gelassen", sagte EVG-Sprecher Oliver Kaufhold zur Streikplanung. Die Motivation sei nach den ersten drei Tarifrunden groß gewesen, das sei bei vielen Aktionen in den Betrieben deutlich geworden.

Wirklich alle Räder standen still

Das Chaos komplett machte die Tatsache, dass auch Mitarbeiter von Reisezentren und an den Durchsageplätzen in mehreren großen Bahnhöfen sich an dem Ausstand beteiligten. So waren teilweise die Info-Schalter am Morgen nicht besetzt. Auch die Angaben im Internet waren sehr ungenau.

Das erboste viele Fahrgäste zusätzlich. "Das Informationsmanagement ist eine Katastrophe", schimpfte ein Mann am Berliner Hauptbahnhof, wohl nicht wissend, dass zumindest diesmal nicht Fehlplanung, sondern eben der Streik die Ursache war. Die EVG bestätigte: Ja, auch Personal an den Bahnhöfen habe die Arbeit niedergelegt.

Es ist der erste Streik bei der Bahn seit Mai 2015. Damals hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Lokführer und Zugbegleiter aufgerufen. Der jetzige Warnstreik kam überraschend, denn bis zum Abbruch der Gespräche durch die EVG am Samstag verliefen die Verhandlungen seit zwei Monaten fast geräuschlos.

Auf eine Fülle von Details hatte man sich geeinigt, zum Schluss sogar über zwei Kernforderungen der EVG: Ein 1,1 Prozent höherer Anteil des Arbeitgeranteils zur Altersvorsorge und die Ausweitung des Wahlmodells Geld oder Freizeit. Demnach sollte die zweite Stufe der Lohnerhöhung ab 2021 für die Mitarbeiter in Freizeit wandelbar sein. Selbst bei Mitgliedern der EVG-Tarifkommission herrschte noch am Samstagmorgen in Hannover Zuversicht, dass man mit einem Abschluss nach Hause fahren würde.

Am Ende ging es ums Geld, und vielleicht waren beide Seiten nach zwei langen Tagen und einer Nacht Tarif-Ringen auch zu erschöpft. Letztlich kamen beide Seiten bei Lohnhöhe und Vertragslaufzeit nicht zusammen. Anfangs hatte die EVG wie die konkurrierende GDL ein Plus von 7,5 Prozent gefordert. Das Angebot der Bahn: 2,5 Prozent im März 2019 und dann später noch einmal 2,6 Prozent bei 29 Monaten Laufzeit. Die EVG forderte dagegen für die erste Stufe 3,5 Prozent und eine Laufzeit von nur 24 Monaten. "Das würde die Bahn nicht umbringen", hieß es bei der Gewerkschaft.

Sicherlich nicht. Der eine Prozentpunkt, den die EVG fordert, würde nach Bahn-Berechnung aber jährlich 90 Millionen Euro zusätzliche Lohnkosten bedeuten. Der Konzern hat schon jetzt Finanzsorgen. Er will in den kommenden Jahren "auf Rekordniveau" in Fahrzeuge und Netz investieren. Das wird ohne neue Schulden nicht gehen. Am Mittwoch legt der Vorstand dem Aufsichtsrat die mittelfristige Finanzplanung bis 2023 vor.

Konkurrenz der beiden Bahn-Gewerkschaften

Beinahe fürsorglich wies GDL-Chef Claus Weselsky darauf hin, dass die Bahn angesichts ihres Sparkurses schon sehr geschwächt sei. Es fehlten Züge und Personal. "Da muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen", sagte er dem "Tagesspiegel" mit Blick auf den EVG-Streik.

Die GDL hatte am Wochenende parallel mit der Bahn an einem anderen Ort in Hannover verhandelt, beide Gewerkschaften gingen sich aus dem Weg. Auch die GDL wurde sich noch nicht handelseinig mit der Bahn, zeigte sich in einer Stellungnahme aber "grundsätzlich zufrieden" mit dem Verlauf der Gespräche.

Tatsächlich war sie das aber wohl nicht, denn Weselsky kritisierte mehrere Punkte, etwa dass die Bahn in ihren Betrieben "die permanente Umgehung und Aufweichung der persönlichen Planungssicherheit" zulasse. In einer Tochterfirma stelle der Konzern Zugpersonal zu Tarifen unter DB-Niveau ein.

"Am Dienstag ist Zahltag, eine nächste Runde wird es nicht geben", warnte Weselsky vor dem sechsten Treffen in Eisenach. Anders als die EVG kann er seine Mitglieder derzeit nicht zu Streiks aufrufen. Die GDL ist an eine Vereinbarung gebunden, derzufolge sie erst nach einem Schlichtungsverfahren streiken darf. Die EVG will die Situation auch nicht weiter eskalieren lassen. Sie kehrt am Dienstag in Berlin an den Verhandlungstisch zurück.

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