Kaum noch Hoffnung auf Überlebende
Zahl der Todesopfer in Syrien und der Türkei steigt auf über 40.000
- Aktualisiert: 15.02.2023
- 09:38 Uhr
- Anne Funk
Das Bündnis "Aktion Deutschland Hilft" steht Menschen in Krisengebieten weltweit zur Seite. Helfen auch Sie den Opfern der Erdbeben in der Türkei und Syrien - mit Ihrer Spende.
Das Wichtigste in Kürze
Am frühen Morgen des 6. Februar wurden Syrien und die Türkei von schweren Erdbeben erschüttert.
Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf über 40.000 gestiegen, über 85.000 Menschen wurden verletzt, Tausende werden noch immer vermisst.
Deutschland und viele weitere Staaten haben Rettungsteams und Hilfsgüter in die betroffenen Regionen entsendet.
Die Hoffnung, noch Überlebende zu bergen, schwindet, trotzdem gibt es immer wieder Berichte über lebendig Geborgene.
Bei den katastrophalen Erdbeben in der Türkei und Syrien sind über 40.000 Menschen ums Leben gekommen. Internationale Hilfe ist angelaufen, derweil schwindet die Hoffnung, Verschüttete noch lebend zu bergen.
Die Zahl der Todesopfer nach dem verheerenden Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet steigt unaufhörlich. Bislang sind mehr als 40.000 Tote gemeldet worden, allein in der Türkei sind es mehr als 35.000 Tote, in Syrien seien es mindestens 5.900. Mehr als 85.000 Menschen wurden zudem in den beiden Ländern verletzt. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnet mit bis zu 50.000 Toten und mehr, wie er dem Sender Sky News im Erdbebengebiet Kahramanmaras sagte. Die Türkei spricht inzwischen von einem Jahrhundert-Erdbeben.
Der türkische Städteminister Murat Kurum sagte, mittlerweile seien knapp 172.000 Gebäude in zehn Provinzen überprüft worden. Festgestellt worden sei, dass rund 25.000 schwer beschädigt worden seien oder dringend abgerissen werden müssten.
Zudem seien durch das schwere Erdbeben mindestens 6.400 Gebäude eingestürzt. Nach Schätzungen des Pacific Disaster Centers, einer US-Organisation für Katastrophenhilfe, sind von den Erdbeben in der Türkei und Syrien insgesamt rund 23 Millionen Menschen betroffen. "Es gibt hier keine Familie, die nicht betroffen ist", sagte ein Mann, der im türkischen Kahramanmaras dabei half, Gräber auszuheben.
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Kampf gegen die Zeit
Die Rettungskräfte vor Ort kämpfen gegen die Zeit. Die Chancen, noch Lebende unter den Trümmern zu finden, sinken mit jeder Stunde, die seit den Erdbeben verstreicht. Dass Menschen noch lebend aus den Trümmern gezogen werden, wird immer unwahrscheinlicher, sagte Griffiths während eines Besuchs im syrischen Aleppo am Montag (13. Februar).
Allerdings bargen Helfer:innen auch eine Woche nach dem Beben noch einzelne lebende Verschüttete. Überlebende, die jetzt noch gefunden werden, müssen Zugang zu Flüssigkeit gehabt haben - etwa zu Regenwasser, Schnee oder anderen Quellen. Ein Mensch kann normalerweise etwa 72 Stunden, also drei Tage, ohne Wasser auskommen, danach wird es lebensbedrohlich. Dieser Zeitraum ist inzwischen weit überschritten.
Immer wieder "unglaubliche Überlebensgeschichten"
Immer wieder passieren aber auch "unglaubliche Überlebensgeschichten", wir türkische Medien berichten. Nach 89 Stunden wurde in der Provinz Kahramanmaras laut der Nachrichtenagentur Anadolu die fünfjährige Mina lebend aus dem Schutt geborgen. In der Provinz Hatay schaffte es die zweijährige Fatima nach 88 Stunden mithilfe ihrer Retter ins Freie. In Gaziantep fanden Helfer den 17-jährigen Adnan sogar nach 94 Stunden lebend.
Sogar noch am Dienstagmorgen (14. Februar) retteten Helfer:innen in der Provinz Kahramanmaras zwei 17 und 21 Jahre alte Brüder, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und der Sender CNN Türk. Sie hätten demnach 198 Stunden unter den Trümmern gelegen. In der Provinz Adiyaman soll ein 18-Jähriger, der ebenfalls 198 Stunden verschüttet war, gerettet worden sein. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben zunächst nicht.
Mit der schwindenden Hoffnung, von Überlebende zu finden, beginne nun die humanitäre Phase, um Betroffene mit Unterkünften, "psychosozial" sowie mit Lebensmitteln, Schulunterricht und "einem Sinn für die Zukunft" zu versorgen, erklärte UN-Nothilfekoordinator Griffiths am Montag.
Assad öffnet Grenzübergänge
Während in der Türkei Hilfe großflächig angelaufen ist, warten viele Betroffene in Syrien allerdings noch immer auf Hilfe. Bisher gab es nur einen offenen Grenzübergang. Die Vereinten Nationen konnten nur über Bab al-Hawa Hilfe in Gebiete liefern, die nicht unter der Kontrolle der Regierung liegen. Das soll sich nun aber wohl ändern.
Syriens Präsident Baschar al-Assad wolle Diplomaten zufolge zwei weitere Grenzübergänge in die Türkei öffnen, um die humanitäre Hilfe zu verbessern. Für drei Monate sollen demnach Bab Al-Salam und Al Ra'ee geöffnet werden, berichtete Griffiths dem UN-Sicherheitsrat.
UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte Assads Entscheidung: "Die Öffnung dieser Grenzübergänge - zusammen mit der Erleichterung des humanitären Zugangs, der Beschleunigung der Visagenehmigungen und der Erleichterung des Reisens zwischen den Drehkreuzen - wird es ermöglichen, dass mehr Hilfe schneller eintrifft."
Erdbeben überraschte die Menschen am frühen Morgen
Am frühen Morgen des 6. Februar hatte ein Beben der Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Seither gab mehr als 2.400 Nachbeben in der Region, wie die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad mitteilte. Tausende Gebäude stürzten ein. Im Katastrophengebiet herrschten Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der türkische Wetterdienst sagte teils Schneefall und Regen voraus.
Viele Menschen verloren ihr Zuhause: Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan suchten inzwischen mehr als 1,5 Millionen in Zelten, Hotels oder öffentlichen Notunterkünften Schutz.
Viele können nicht in ihre Häuser zurück, weil diese eingestürzt sind oder eine Rückkehr wegen der Nachbeben zu gefährlich wäre. "Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen", sagte der türkische Städteminister Murat Kurum kurz nach der Katastrophe. Manche Straßen und Wege seien nicht zugänglich, man arbeite daran, sie passierbar zu machen. "Der Schmerz ist unbeschreiblich", sagte der Minister.
Die Rettungsorganisation Weißhelme sprach bereits früh von Dutzenden Toten. "Die Lage ist sehr tragisch", so ein Mitglied der Gruppe. "Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmer liegen", erklärte der Leiter der Gruppe, Raed Al Saleh.
Nach einer ersten Einschätzung der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) sind voraussichtlich 150.000 Menschen in der Türkei obdachlos geworden. Allein im südtürkischen Kahramanmaras seien bisher 941 Gebäude vollständig zerstört worden, sagte Innenminister Süleyman Soylu.
Scholz und Baerbock versprachen schnelle Hilfe
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich am Tag der Beben bestürzt über die Ereignisse. "Wir trauern mit den Angehörigen und bangen mit den Verschütteten. Deutschland wird selbstverständlich Hilfe schicken", schrieb er auf Twitter.
Externer Inhalt
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb beim Kurznachrichtendienst, ihre Gedanken seien "bei den Angehörigen der Opfer dieser furchtbaren Erdbeben und allen, die um ihre Familie, Freunde, Nachbarn bangen. Wir werden mit unseren Partnern rasch Hilfe auf den Weg bringen".
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach den Betroffenen seine Anteilnahme aus. "Das Ausmaß von Tod und Zerstörung erschüttert mich tief. Meine Gedanken sind bei den vielen Opfern, meine Anteilnahme gilt ihren Familien", hieß es in einer Pressemitteilung. "Meine Hoffnung richtet sich darauf, dass noch viele aus den Trümmern gerettet werden können."
Viele Staaten senden Rettungsteams
Israel sagte der Türkei umgehend humanitäre Hilfe zu: Der Verteidigungsminister Joav Galant wies Verteidigungsministerium und Armee bereits am Montag (6. Februar) an, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. "Unsere Sicherheitskräfte sind bereit, jegliche notwendige Hilfe zu leisten." Der israelische Rettungsdienst Zaka teilte mit, bei der Suche in eingestürzten Häusern helfen zu wollen, man bereite die Entsendung einer Hilfsdelegation vor.
Trotz der schweren Spannungen mit der Türkei erklärte auch Griechenland sich bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu entsenden. "Griechenland wird sofort helfen", so der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
Die Entsendung von europäischen Rettungskräften wird vom Zentrum für Katastrophenhilfe der EU koordiniert. Nach Angaben eines Sprechers der EU-Kommission wurden bis Montagmittag bereits mehr als zehn Such- und Rettungsteams mobilisiert, um vor Ort zu unterstützen.
Auch Deutschland entsendet Hilfe: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versprach umfangreiche Unterstützung. "Wir stimmen uns eng miteinander ab und werden mit allen Mitteln helfen, die uns zur Verfügung stehen und jetzt am dringendsten benötigt werden." Eine Lieferung von Zelten, Decken und Notstromaggregaten werde bereits vom Technischen Hilfswerk (THW) vorbereitet. Man könne auch Notunterkünfte und Anlagen zur Wasseraufbereitung bereitstellen. Bereits am frühen Mittwochmorgen (8. Februar) brach vom Flughafen Köln/Bonn ein 50-köpfiges Team des THW ins Katastrophengebiet auf.
Russland will sowohl der Türkei als auch Syrien ebenfalls Hilfe zukommen lassen. Rettungskräfte des russischen Zivilschutzes sollen nach Syrien geflogen werden, teilte der Kreml mit. Der russische Präsident Wladimir Putin habe bereits mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad telefoniert.
Minusgrade erschweren Rettung
Die Rettungsarbeiten werden durch die Wetterbedingungen erschwert. In den betroffenen Provinzen herrschen zurzeit Minusgrade, in einigen Gegenden regnet oder schneit es.
Hilfsorganisationen und Gemeinden in den betroffenen Regionen riefen neben Blutspenden auch zu Sachspenden auf und baten um Decken, Winterkleidung, Essenspakete und Babynahrung. Die Menschen in der Türkei wurden gebeten, nicht über das Handy-Netz, sondern nur online zu telefonieren, damit vorrangig Verschüttete erreicht werden können.
Aufgrund von Sturm und fehlender Ausrüstung sei die Suche in Syrien in den ersten Nächten "sehr langsam" verlaufen, berichten die Weißhelme. Zudem seien einige der betroffenen Gebiete sehr abgelegen und nur schwer erreichbar.
Bilder: Erdbeben erschüttern Syrien und die Türkei
Bilder: Erdbeben erschüttern Syrien und die Türkei
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa