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Entspannung in Flutgebieten

Debatte über Katastrophen- und Klimaschutz

  • Veröffentlicht: 19.07.2021
  • 12:37 Uhr
  • dpa
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© dpa

Kaum noch Regen sagt der Wetterdienst für Deutschland voraus. Die Lage in den Hochwassergebieten entspannt sich. Aus den Regionen kommen sogar einige positive Nachrichten. Daher ist mehr Raum für die Aufarbeitung - auch auf politischer Ebene.

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Sinkende Pegelstände und fortschreitende Aufräumarbeiten auf der einen Seite, eine Debatte über Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz und politische Konsequenzen auf der anderen: Während sich die Lage in den Hochwassergebieten in Deutschland beruhigt, nimmt die politische Debatte über Folgen für Katastrophen- und Klimaschutz Fahrt auf.

Mehrere Spitzenpolitiker forderten am Montag Änderungen vor allem auf Bundesebene. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) reiste in die von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Gebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Gute Nachrichten aus betroffenen Gebieten

Von dort, aber auch etwa aus Bayern, kamen unterdessen gute Nachrichten. So sinken etwa die Pegelstände in Passau, die befürchtete Hochwasser-Katastrophe im Südosten Bayerns nach verheerenden Unwettern ist ausgeblieben.

Die Stadt Erftstadt (Nordrhein-Westfalen) informierte, dass die mehr als 100 auf einer Bundesstraße vom Hochwasser eingeschlossenen Fahrzeuge bis auf zwei Lastwagen geborgen seien. Dabei wurden keine Toten entdeckt. Der Damm an der Steinbachtalsperre in Euskirchen hat den Wassermassen standgehalten. Sie habe einen "unkritischen Wasserstand erreicht", teilte der Rhein-Sieg-Kreis mit. Damit bestehe akut keine Gefahr mehr, dass die Staumauer brechen könnte. Somit könnten die Evakuierungsmaßnahmen für Teile der Orte Swisttal und Rheinbach aufgehoben werden.

Auch durch Unwetterfolgen blockierte Bahnstrecken sind wieder befahrbar, etwa von Dresden (Sachsen) nach Prag (Tschechien). Im Laufe der Woche soll zudem die Schifffahrt auf dem Rhein bei Speyer (Rheinland-Pfalz) und Karlsruhe (Baden-Württemberg) wieder freigegeben werden. Entspannung versprechen die Wetteraussichten für die kommenden Tage: Es soll weitgehend trocken bleiben.

Die Zahl der Todesopfer im Kreis Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) ist derweil von 110 auf 117 gestiegen. Zudem seien mindestens 749 Menschen verletzt worden, teilte eine Polizeisprecherin in Koblenz mit. Aus NRW waren zuletzt 46 Tote infolge der Unwetter bekannt.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sprach sich dafür aus, dass der Bund eine größere koordinierende Rolle bei überregionalen Katastrophen wie Fluten oder Waldbränden bekommt. "Der zweite Punkt ist, dass wir Klimaanpassungsmaßnahmen brauchen", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". CSU-Chef Markus Söder betonte in der Sendung: "Wir brauchen schon einen Klima-Ruck in Deutschland."

Im "Spiegel" sagte Baerbock: "Hilfe funktioniert nur, wenn alles ineinander greift. Dafür braucht es eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht."

Verschiedene Ebenen und Akteure müssten schneller koordiniert werden, gerade wenn Ereignisse mehrere Bundesländer betreffen oder nicht mehr durch die regionalen Einsatzkräfte bewältigt werden könnten. "Dazu muss das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenfunktion ausgestattet werden, wie wir sie in der Polizeiarbeit vom Bundeskriminalamt kennen", so Baerbock.

In der ARD sagte die Grünen-Chefin, auch Warnketten müssten verbessert werden. Städte müssten umgebaut werden, Flüssen müsse mehr Raum gegeben werden. "Das ist kein Entweder-oder zwischen Klimavorsorge, Klimaanpassung und Klimaschutz, sondern ein Dreiklang, der eigentlich in den ganzen Klimaschutzverträgen weltweit auch genauso beschlossen ist." Von der CDU forderte sie im "Spiegel", Widerstand gegen ein striktes Bauverbot in Hochwasserrisikogebieten aufzugeben.

FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sieht derweil schwere Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz. «Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt." Die FDP-Fraktion beantragte eine kurzfristige Sondersitzung des Innenausschusses. Seehofer müsse darlegen, was die Bundesregierung wann genau wusste - und was unternommen wurde, um den Katastrophenschutz sicherzustellen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte am Sonntag im "Bild live"-Politiktalk "Die richtigen Fragen" Aufklärung, ob der Katastrophenschutz ausreichend funktioniert habe. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, sagte im Deutschlandfunk, derzeit sei man in der Phase "Retten, Bergen, Obdachbieten et cetera. Ich habe meinen Mitarbeitern sogar quasi untersagt, Manöverkritik zu machen. Wir helfen jetzt."

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Zurück zur "guten alten Sirene"

Aus Schusters Sicht braucht es einen Warnmittel-Mix aus verschiedenen Methoden, rein digitale Warnungen seien nicht der richtige Weg. "Und deswegen wollen wir auch die gute alte Sirene zurückhaben." Mit einem Förderprogramm in Höhe von 90 Millionen Euro sollten gemeinsam mit den Bundesländern "an den richtigen Stellen" wieder Sirenen installiert werden. Das Geld werde aber nicht reichen, und die Umsetzung werde Zeit in Anspruch nehmen.

Im Westen Deutschlands wollte sich Seehofer vor Ort ein Bild von der Arbeit des Technischen Hilfswerks (THW) machen. Es ist seinem Ministerium unterstellt. Die Organisation hat den Angaben zufolge 2500 Helferinnen und Helfer in den Hochwassergebieten im Einsatz, um Menschen in Sicherheit zu bringen, Keller abzupumpen, die Stromversorgung sicherzustellen und um Schuttberge abzutragen.

Der Innenminister wurde sowohl an der Steinbachtalsperre in NRW erwartet als auch in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz). Dort wollte er eine Klinik besuchen, bei der das THW eine Trinkwasseraufbereitungsanlage installiert hat. Dies war nötig geworden, nachdem Wassermassen die Leitungen im Umfeld der Klinik beschädigt hatten.

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