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Wohnungslosigkeit - Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten

Obdachlosigkeit in Deutschland – Das sind die erschreckenden Fakten

  • Veröffentlicht: 13.11.2022
  • 20:10 Uhr
  • Sarah Matthias
Ein Obdachloser sitzt mit einem Schild auf der Straße und bettelt. Erschreckend: Über 250.000 Menschen gelten in Deutschland als wohnungslos. 
Ein Obdachloser sitzt mit einem Schild auf der Straße und bettelt. Erschreckend: Über 250.000 Menschen gelten in Deutschland als wohnungslos. © picture-alliance/ ZB

Das Wichtigste in Kürze

  • In Deutschland sind 2022 über 250.000 Menschen ohne festen Wohnsitz.

  • Häufige Gründe dafür sind z.B. Armut, Gesundheitsprobleme oder fehlender bezahlbarer Wohnraum.

  • Bis 2030 will die Bundesregierung Wohnungs- und Obdachlosigkeit beenden.

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Auch wenn es sich für viele von uns weit weg anfühlt: Wohnungslosigkeit kann jede:n treffen. Wie es zu Wohnungslosigkeit kommen kann, was sie für Betroffene bedeutet und warum es so schwer ist, einen Weg aus der Obdachlosigkeit zu finden, erfährst du hier.

Obdachlosigkeit – Ein Problem am Rande der Gesellschaft?

Stell dir vor, du hast alles: eine Familie, einen Job, eine schöne Wohnung. Und wie aus dem Nichts ändert sich das plötzlich. Dein:e Partner:in will die Scheidung, dein Job fällt einem Stellenabbau zum Opfer und dann kommt auch noch die Wohnungskündigung wegen Eigenbedarf. Allein ein Punkt davon ist bereits schwer auszuhalten, doch manchmal kommt alles zusammen. Wer ein stabiles, unterstützendes Umfeld hat, kann solche Rückschläge relativ unbeschadet überstehen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen, aber so viel Glück haben leider nicht alle.

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So kannst du obdachlosen Menschen helfen:
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so kannst du obdachlosen und bedürftigen helfen

Hilfe für Obdachlose: Diese Organisationen und Projekte kannst du unterstützen

Viele Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Welche Hilfsorganisationen und -projekte es gibt und wie du Obdachlose unterstützen kannst, liest du hier.

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In schlimmeren Fällen folgen Arbeitslosigkeit, Schulden und vielleicht eine Depression oder Sucht. In einer solchen schwierigen Zeit sollen Betroffene dann noch eine neue bezahlbare Wohnung finden. Bei aktuell über 250.000 Menschen in Deutschland führte dieses oder ein ähnliches Szenario dazu, dass sie keine vertraglich geregelte Wohnung mehr haben und somit als "wohnungs-" oder "obdachlos" gelten.

Fragen und Fakten zu Wohnungslosigkeit

Wohnungslosigkeit ist nicht gleich Obdachlosigkeit. Es gibt unterschiedliche Arten, ohne Wohnung zu leben. Genauso gibt es zahlreiche Gründe, in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit zu rutschen. Die wichtigsten Fragen zu dem Thema, was die Politik tut und warum es so schwierig ist, sich aus dieser Situation wieder zu befreien: Das SAT.1 Frühstücksfernsehen klärt auf.

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Wann gilt man als wohnungslos?

Als wohnungslos werden alle Menschen in Deutschland bezeichnet, die keinen geregelten Vertrag für eine Wohnung (bzw. zur Miete) haben. Dementsprechend fallen darunter auch Menschen, die bei Freunden oder Verwandten leben, bei wechselnden Bekanntschaften, in Notunterkünften untergebracht sind, oder in staatlich finanzierten Räumlichkeiten leben. Kurz gesagt: Wohnungslose sind zwar ohne eigene Wohnung, aber nicht ohne Unterkunft.

Was bedeutet "verdeckte Wohnungslosigkeit"? Was bedeutet "obdachlos"?

Als Kriterium für die sogenannte verdeckte Wohnungslosigkeit gilt, dass ein Mensch zwar eigentlich wohnungslos ist, diesen Umstand jedoch versteckt. Damit ist er unsichtbar für das System und nimmt auch keine Hilfen in Anspruch. In diese Kategorie der Wohnungsnot fallen viele Frauen. Die Betroffenen versuchen, eine Fassade aufrecht zu erhalten – aus Scham und der Befürchtung heraus, als "Versager:in" dazustehen, sollte ihr Missstand durch z.B. Inanspruchnahme von Wohnungslosenhilfe publik werden.

Diese Menschen versuchen sich u.a. durch Obdach bei Familie und Freunden, aber auch kurzzeitigen oder sexuellen Bekanntschaften von der Straße fernzuhalten. Durch das Abhängigkeitsverhältnis, das die betroffene Person durch die "Gefälligkeit" einer Unterkunft mit dem/der Unterkunftsgebenden eingeht, treten jedoch viel zu oft folgende Probleme auf:

  • Sexuelle Gefügigkeit bis hin zu Gelegenheitsprostitution
  • Ertragen körperlicher und psychischer Gewalt bzw. Demütigung
  • Generelles Verbleiben in häuslichen Gewaltsituationen (mangels Alternativen)
  • Mangel an Rückzugsmöglichkeiten
  • Alkohol-, Medikamenten- und Drogensucht (um die Situation vermeintlich erträglicher zu machen)

Da diese Probleme aber wie beschrieben oft nicht nach außen dringen, ist es für die Betroffenen sehr schwer, sich daraus wieder zu befreien.

Obdachlosigkeit hingegen beschreibt auch das Fehlen einer Unterkunft. Obdachlose kommen weder in staatlichen Hilfen und Anlaufstellen unter, noch bei Angehörigen. Meist bewegen sie sich tagsüber in der Stadt oder ihrem Umfeld und suchen sich für die Nacht einen Schlafplatz in Parks, U-Bahnstationen, an Bushaltestellen, auf der Straße oder unter Brücken. Diese Schlafplätze sind jedoch meist nur wenig, bis gar nicht geschützt – weder vor Raubüberfällen, noch vor der Witterung (z.B. der Kälte des Winters). Mehr als 45.000 Menschen gelten in Deutschland als obdachlos.

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Wie kann man in Deutschland überhaupt obdachlos werden?

Das soziale Auffangnetz in Deutschland scheint sehr eng geknüpft. Zahlreiche Hilfsorganisationen können die Betroffenen vor der Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit schützen. Diese Angebote können jederzeit in Anspruch genommen werden, sollte man in einer Krise landen, aus der man sich selbst nicht mehr befreien kann. Sind obdachlose Menschen also selbst schuld an ihren Problemen? Dieses Vorurteil ist leider verbreitet, aber nicht wahr.

Es gibt tatsächlich mehrere Gründe, die Menschen dazu bringen, auf der Straße oder in nicht zumutbaren Zuständen zu leben. Schwere Schicksalsschläge haben leider oft Depressionen oder andere Erkrankungen zur Folge, die Verzweiflung, Handlungsunfähigkeit und sozialen Rückzug auslösen können.

Verliert man dann auch noch die eigenen vier Wände, kann das zur wahren Zerreißprobe werden. Im schlimmsten Fall fehlt die Energie oder gar Fähigkeit, sich angemessen um sich selbst – geschweige denn um Behördengänge, Formulare oder die Wohnungssuche – zu kümmern. Es geht einfach nicht mehr. Gibt es dann keine Hilfe von außen, oder kann sie nicht angenommen werden, droht die Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit schneller, als man denkt.

Haben Betroffene kein Umfeld, das sie in Lebenskrisen auffangen kann, könnten sie sich doch "einfach" Hilfe bei Ärtz:innen, Psycholog:innen oder Anlaufstellen für Wohnungsnot holen. Dieser Gedanke mag nahe liegen, ist aber oft weit entfernt von der Realität. Man darf nicht unterschätzen, dass es je nach Persönlichkeit und individuellen Umständen zu einem schier unüberbrückbaren Hindernis werden kann, sich Hilfe zu suchen. Sei das aus Scham oder simpler Unwissenheit über die Angebote.

Besonders im Winter sind Obdachlose auf Hilfe angewiesen, um nicht zu erfrieren.
Besonders im Winter sind Obdachlose auf Hilfe angewiesen, um nicht zu erfrieren.© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

Hinzu kommt der schwierige Wohnungsmarkt. Es gibt immer mehr Menschen, die sich mit ihrem Gehalt oder der Rente schlicht keine Wohnung mehr leisten können. Von den 4 Millionen Sozialwohnungen, die es noch 1987 in Deutschland gab, sind heute nur noch knapp über eine Million übrig. Tendenz sinkend, denn es werden (trotz ursprünglicher Planungen der Politik) weniger neue Sozialwohnungen gebaut, als wieder in den freien Markt entlassen werden. Außerdem stehen in Deutschland geschätzt 1,7 Millionen Wohnungen leer – sei es, weil sich keine Mieter:innen finden lassen, die sich die Wohnung leisten können, oder weil der Leerstand aufgrund von Spekulationen einer Immobiliengesellschaft entstanden ist. Inflation und Energiekrise verschärfen die Lage aktuell noch weiter.

Die Folge: Ein immer härter umkämpfter Immobilienmarkt, der es den schwach Verdienenden oder Arbeitslosen noch schwerer macht, eine geeignete Wohnung zu finden, die Schutz und Sicherheit bietet.

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Was sind die häufigsten Gründe für Wohnungs- oder Obdachlosigkeit?

Ohne Wohnung zu sein, das suchen sich die allerwenigsten aus. Viele sehen sich gezwungen, die eigene Wohnung aufzugeben. Laut der Europäischen Kommission sind das die häufigsten Gründe:

  • Armut
  • Arbeitslosigkeit
  • Migration (aus einem anderen Land, nach Deutschland)
  • Alter (z.B. wenn Renten nicht mehr zum Leben ausreichen)
  • Gesundheitsprobleme
  • Trennung oder Scheidung vom Partner/der Partnerin
  • Zu wenig bezahlbarer Wohnraum (egal ob Kauf oder Miete)
  • Mangelnde Betreuung von Menschen, die aus öffentlichen Einrichtungen entlassen wurden (wie Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern oder Gefängnissen)
Obdachlose nutzen häufig Bänke, um nicht auf dem kalten dreckigen Boden schlafen zu müssen.
Obdachlose nutzen häufig Bänke, um nicht auf dem kalten dreckigen Boden schlafen zu müssen.© Srdjan - stock.adobe.com

Was sind die Folgen (verdeckter) Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit?

Neben den physischen und psychischen Folgen, die durch oben genannte Punkte der verdeckten Wohnungslosigkeit auftreten, spielt die soziale Ausgrenzung eine große Rolle. Sowohl die verdeckte Wohnungslosigkeit als auch die Obdachlosigkeit erschweren ein normales Leben und eine Wiedereingliederung in den Wohnungs- oder Arbeitsmarkt sehr. Vorurteile behindern die Suche nach einer neuen Wohnung und verhindern wichtige soziale Bindungen.

Bei beiden Formen der Wohnungslosigkeit ist zudem die Gefahr von Krankheiten und Sucht erhöht. Obdachlose sollen laut einer Studie der TU München besonders häufig an psychischen Erkrankungen leiden und laut einiger Mediziner:innen sogar deutlich früher (30 Jahre) sterben als Menschen mit einer geregelten Unterkunft. Todesurasache seien hierbei vor allem Suchterkrankungen, mangelnde Hygiene und ein ungeklärter Krankenkassenstatus, der (regelmäßige und medikamentöse) Behandlungen fast unmöglich macht.

Zu wenig Geld zum Leben führt außerdem in nicht wenigen Fällen zu Beschaffungskriminalität. Aus der Not heraus geraten Betroffene in Konflikt mit dem Gesetz. Das hat zwar juristische Folgen, doch nachhaltig geholfen wird hierbei selten.

Warum ist es so schwer, aus der Obdach- oder Wohnungslosigkeit zu entkommen?

Ist ein Mensch erst einmal obdachlos, ist es schwer, wieder eine Wohnung zu finden bzw. sich wieder in das geregelte Leben einzugliedern. Selbst wenn Krankheit, Schulden und Sucht besiegt wurden, ist die Herausforderung groß. Auf der Straße gibt es weder Termine noch einen geregelten Tagesablauf. Viele müssen nach der Wohnungslosigkeit Normen, Regeln und Abläufe wieder neu erlernen. Das ist umso schwieriger, je länger sie auf der Straße gelebt haben, und erhöht das Risiko, die gerade zurückgewonnene Wohnung und den geregelten Tagesablauf wieder zu verlieren.

Außerdem können viele ganz alltäglichen Leistungen und Dienste ohne eine gültige Meldeadresse gar nicht in Anspruch genommen werden. So kann man zum Beispiel ohne festen Wohnsitz kein Konto eröffnen. Ohne Konto wiederum findet man nur schwer Arbeit. Und ohne Arbeit gibt es keine Wohnung.

Ein Teufelskreis, der erstmal durchbrochen werden muss. Und das ist nicht so einfach, denn Vermieter:innen haben oft große Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Wohnungslosen – auch wenn eventuell entstehende Kosten wie Reparaturen sogar vom Staat übernommen werden würden.

Was tut die Politik gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit?

Jahrzehntelang habe die Politik das Problem der Wohnungs- und Obdachlosigkeit sowie den sozialen Wohnbau durch ihre Sparpolitik auf die lange Bank geschoben, so Soziologe Andrej Holm. Die Konsequenzen spüren wir heute sehr deutlich. Sogar bei der Erfassung der Anzahl von Obdach- und Wohnungslosen gibt es Schwierigkeiten. Erst 2020 wurde das Wohnungslosenberichterstattungsgesetz verabschiedet. 2022 wurden erstmals belastbare Zahlen hierzu veröffentlicht – und damit genauer ersichtlich, wie groß das Problem in Deutschland überhaupt ist.

Ein Ziel macht Hoffnung: Zusammen mit anderen EU-Staaten hat sich Deutschland im Juni 2021 dazu verpflichtet, bis 2030 die Obdachlosigkeit im eigenen Land zu beenden. Laut Sozialanthropologin Luisa Schneider fehle dazu jedoch bisher eine flächendeckende einheitliche Strategie, Wohnungslosigkeit nicht nur zu managen, sondern sie auch nachhaltig zu beenden. Als Ansatz dienen Modelle, die bereits in anderen Ländern wie Finnland zum Erfolg führten. Zum Beispiel die "Housing First" Idee: Dabei ist das oberste Ziel, Wohnungslosen so schnell wie möglich eine neue Wohnung zu verschaffen. Noch bevor andere Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Entzug angegangen werden.

Neben dem sozialen und gesellschaftlichen Interesse, Wohnungs- und Obdachlosigkeit beenden zu wollen, würde es dem Bund sogar Kosten sparen. Denn wie z.B. in Finnland festgestellt wurde, sind bereitgestellte Wohnungen deutlich günstiger als Unterkünfte und Hilfsprojekte, die aktuell bezahlt werden müssen.


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