Besuch in Kiew
Baerbock, Merz und Gysi nach Kiew: Scholz wegen Steinmeier-Eklat nicht
- Veröffentlicht: 03.05.2022
- 07:42 Uhr
- dpa
Staats- und Regierungschefs westlicher Staaten geben sich in Kiew seit Wochen die Klinke in die Hand. Hochrangige deutsche Politiker haben sich dagegen nach Kriegsbeginn noch nicht in der ukrainischen Hauptstadt blicken lassen. Das ändert sich nun - mit einer Ausnahme.
Zehn Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wollen erstmals deutsche Politiker in die Hauptstadt Kiew reisen. Als erstes Regierungsmitglied kündigte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) entsprechende Pläne an - jedoch noch ohne einen konkreten Zeitpunkt. Unmittelbar bevor stehen Reisen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz (CDU) und des Linken-Außenpolitikers Gregor Gysi. Zuvor war ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geplatzt, weil die ukrainische Seite ihn auslud. Er wollte zusammen mit den Staatschefs von Polen, Lettland, Estland und Litauen nach Kiew fahren, die schließlich ohne ihn aufbrachen.
Scholz: "steht der Sache im Weg"
Mit Blick auf eine mögliche eigene Reise sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Ausladung des Bundespräsidenten "steht der Sache im Weg". In der ZDF-Sendung "Was nun?" betonte er am Montagabend: "Das kann man nicht machen. Es kann nicht funktionieren, dass man von einem Land, das so viel militärische Hilfe, so viel finanzielle Hilfe leistet, das gebraucht wird, wenn es um die Sicherheitsgarantien geht, die für die Zeit der Ukraine in der Zukunft wichtig sind, dass man dann sagt, der Präsident kann aber nicht kommen."
Baerbock sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will": "Ja, ich werde auch reisen." Sie habe dies bereits nach Bekanntwerden der Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha geplant. Zunächst habe sie dem Bundespräsidenten den Vortritt lassen wollen, der dann aber leider wieder ausgeladen worden sei. Das heiße aber nun nicht, "dass ich in Zukunft nicht fahren werde".
Merz sagte am Montag, er fahre auf Einladung des ukrainischen Parlaments nach Kiew. Er wolle dort mit Vertretern von Parlament und Regierung zusammentreffen und sich selbst ein Bild von der Lage machen. Er habe dem Kanzler empfohlen, selbst in die Ukraine zu fahren, was dieser in den vergangenen zwei Monaten nicht getan habe. "Es gibt aus meiner Sicht keine Veranlassung, jetzt irgendwo darauf zu warten, dass ein Mitglied der Bundesregierung eine Reise plant." Wenn er eingeladen werde, entscheide er selbst, ob er reise oder nicht. "Und ich frage auch nicht um Genehmigung." Scholz sagte im ZDF, er habe keine Einwendungen erhoben. "Ich billige das."
Er habe Scholz am Samstagmorgen über seine Pläne informiert, sagte der CDU-Vorsitzende nach einer gemeinsamen Sitzung der Präsidien von CDU und CSU in Köln. Er habe eine ausführliche Unterrichtung der Bundesregierung in Anspruch genommen, aber das Bundeskriminalamt (BKA) zu seiner Sicherheit nicht um eine Begleitung gebeten. "Und es hat auch ein entsprechendes Angebot des BKA nicht gegeben." CSU-Chef Markus Söder nannte die Reise "ein gutes Signal, ein starkes Signal".
Gysi: Eine Woche ohne Personenschutz
Gysi will von diesem Dienstag an sogar fast eine ganze Woche in die Ukraine - und das ohne Genehmigung des Bundestags und ebenfalls ohne Personenschutz durch das BKA. Bis Sonntag werde er neben Kiew auch die Vororte Butscha und Irpin sowie die westukrainische Stadt Lwiw besuchen, teilte Fraktionssprecher Michael Schlick mit. Begleitet wird er vom Linken-Bewerber bei der Bundespräsidentenwahl im Februar, Gerhard Trabert. Das BKA habe eine eintägige Reise vorgeschlagen. Das habe man aber abgelehnt und reise nun ohne BKA-Schutz.
Seit Kriegsbeginn vor gut zwei Monaten sind schon mehrere EU-Staats- und Regierungschefs nach Kiew gereist, um Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land zu zeigen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und UN-Generalsekretär Antonio Guterres sowie US-Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin waren dort.
Aus Deutschland waren bisher nur Bundestagsabgeordnete in der Ukraine - und diese auch nicht in der Hauptstadt Kiew. Die drei Vorsitzenden der Ausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Europa - Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) - reisten nach Lwiw in der Westukraine und verbanden ihren Besuch mit der Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen.
Strack-Zimmermann betonte in der ARD-Sendung "Anne Will", wie wichtig die gute Vorbereitung einer solchen Reise sei. "Das ist ja keine Kaffeefahrt, wer ist zuerst da und macht die besten Fotos", sagte sie. "Ich glaube, dass der Kanzler sich da nicht treiben lässt." Wenn man fahre, dann müsse man auch etwas mitbringen. "Das heißt: Man muss sehr konkret sein."
Gysi plant Besuche von Krankenhäusern und Notkliniken sowie Gespräche mit Vertretern von Hilfsorganisationen. Treffen mit ukrainischen Parlamentariern oder der Regierung in Kiew sind bisher nicht geplant. Gysi habe den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk um die Vermittlung von Gesprächen gebeten, aber keine Antwort erhalten, erklärte Schlick, der Gysi und Trabert begleitet. "Die Mitglieder der Delegation bedauern dies, lassen aber deshalb die Reise nicht ausfallen, weil die humanitäre Hilfe wichtiger ist."
Trabert will einer Klinik ein vom Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" gespendetes Dermatom zur Transplantation von Haut übergeben. An Hilfsorganisationen würden von diesem Verein 20 000 Euro und 6000 Euro der Fraktion und von Einzelpersonen übergeben.
CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn rief Scholz auf, es Merz gleichzutun. "Worten müssen auch Taten folgen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). "Wer wie der Bundeskanzler die Zeitenwende ausruft und danach über Wochen ständig abtaucht, hinterlässt nicht nur bei den Verbündeten ein ungutes Gefühl." CDU-Präsidiumsmitglied Julia Klöckner monierte in der "Rheinischen Post" (Montag): Während Politiker aus den USA zur Unterstützung in die Ukraine kämen, "ist der deutsche Bundeskanzler bisher noch nicht in der Lage gewesen, den Zwei-Stunden-Flug von Berlin aus anzutreten".