Vor der Sommerpause will der Bundestag eine Erklärung verabschieden
Bundestag nennt Völkermord an Armeniern beim Namen
- Veröffentlicht: 24.04.2015
- 16:43 Uhr
- dpa
Lange wurde gestritten, ob der Bundestag die Massaker an Armeniern vor hundert Jahren als Völkermord bezeichnen soll. Jetzt nennen Redner aller Parteien das beim Namen. Und auch Bundestagspräsident Lammert wird deutlich.
Der Völkermord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern vor 100 Jahren wird nun auch vom Bundestag beim Namen genannt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte am Freitag im Parlament: "Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord." In der anschließenden Debatte wurde diese Einschätzung von Rednern aller Fraktionen geteilt. Noch vor der Sommerpause will der Bundestag dazu eine Erklärung verabschieden.
Mit der Debatte zum 100. Jahrestag der Massaker verabschiedete sich die deutsche Politik von der weitgehenden Praxis, den Begriff Völkermord aus Rücksicht auf die Türkei zu vermeiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verfolgten die Aussprache von der Regierungsbank, ohne sich selbst zu Wort zu melden. Dagegen hatte Bundespräsident Joachim Gauck schon am Vorabend ohne Umschweife von Völkermord gesprochen.
Noch keine Reaktionen aus der Türkei
Aus der Türkei gab es zunächst keine offiziellen Reaktionen. Im Ersten Weltkrieg waren Armenier im Osmanischen Reich als vermeintliche Kollaborateure systematisch vertrieben und umgebracht worden. Die Massaker begannen am 24. April 1915. Nach Schätzungen kamen dabei zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Bezeichnung Völkermord vehement ab.
Lammert bekannte sich auch klar zur deutschen Mitverantwortung am damaligen Geschehen. Das Deutsche Kaiserreich war enger Verbündeter des Osmanischen Reichs. Der Bundestagspräsident betonte weiter: "Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah. Aber sie ist mitverantwortlich für das, was daraus wird." Zugleich würdigte er die Bemühungen der Türkei, die infolge des Syrien-Kriegs mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat.
Wegen des Streits um die Wortwahl hatte es in den vergangenen Tagen zwischen Bundesregierung, Koalitionsparteien und Präsidialamt viel Hin und Her gegeben. Die Bundesregierung wollte den Begriff eigentlich vermeiden. Steinmeier hatte davor gewarnt, die Auseinandersetzung auf einen einzigen Begriff zu reduzieren.
Erklärung geht vielen Abgeordneten nicht weit genug
In der geplanten Erklärung des Bundestags, die mit den Koalitionsfraktionen abgesprochen wurde, heißt es nun über die Armenier: "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist." Nach der ersten Beratung geht der Text nun an die Ausschüsse. Er soll bis zum Sommer verabschiedet werden.
Der Opposition aus Grünen und Linkspartei - und auch einigen Abgeordneten der Koalition - geht die Erklärung nicht weit genug. Sie warf der Bundesregierung vor, immer noch übertrieben Rücksicht auf die Türkei zu nehmen.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Wir sind es den Opfern schuldig, dass niemand ausgelassen wird und alles beim Namen genannt wird." Die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke verlangte, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan müsse endlich "Klartext" geredet werden. "Dieses Versteckspiel hinter sprachlichen Spitzfindigkeiten ist beschämend."