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Staatskrise in Venezuela

Der Ruin des Karibik-Sozialismus

  • Veröffentlicht: 25.01.2019
  • 08:50 Uhr
  • dpa
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© Boris Vergara/dpa

Das Elend in Venezuela fängt schon am Flughafen an. Das Öl wurde zum Segen und Fluch zugleich - aber auch deutsche Unternehmen stehen vor der Frage: Besser bleiben, um dabei zu sein, wenn die Wende kommt?

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Lange Zeit war Venezuela ziemlich flüssig. Und da die USA über die Hälfte des Erdöls abnehmen, setzte Präsident Nicolás Maduro auch auf Donald Trump. Der in Texas beheimatete Ölkonzern Citgo, der dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA gehört, spendete 500 000 Dollar für die Vereidigungsfeier Trumps in Washington im Januar 2017.

Chef von Citgo ist übrigens ein Cousin von Hugo Chávez, der den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" begründete, bevor Maduro nach Chávez' Tod 2013 das Erbe des Staatschefs fortführte. Wer den Ruin dieses Systems inspizieren will, bekommt schon am Flughafen von Caracas einen guten Eindruck. Leere Duty Free Shops, leere Gepäckbänder, kaum Licht. Und auf der Toilette fehlt das Klopapier. Kaum eine Airline fliegt noch in das Land, auch die Lufthansa stellte nach 45 Jahren den Betrieb ein.

Bis 2016 flog die Lufthansa auch noch den badischen Spargel und den Wein für das traditionelle Spargelessen der Deutsch-Venezolanischen Industrie– und Handelskammer ein - doch von rund 15 Dax-Konzernen, die hier einst vertreten waren, ist kaum noch einer größer aktiv.

Siemens hält die Stellung

Wer noch da ist, ist zum Beispiel Siemens. Es geht auch immer darum bei Unternehmen, ob man noch ein Fuß in der Tür hat, wenn es zum Machtwechsel und einer Rückkehr zur Marktwirtschaft kommen sollte. Nach Venezuela gingen zuletzt aber nur knapp 0,1 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren. Deutschland wiederum importiert für einige hundert Millionen Dollar im Jahr Öl.

Der Weltbank zufolge sind die Geschäftsbedingungen für Unternehmen in kaum einem Land der Welt so schlecht wie in Venezuela. In einem Index belegte Venezuela 2018 Platz 188 von 190 Ländern. Nur Eritrea und Somalia lagen dahinter.

Das Öl ist Fluch und Segen zugleich - ähnlich wie in Brasilien in der Regierungszeit von Luiz Inácio Lula da Silva verschaffte der lange Zeit hohe Ölpreis dem Land mit den größten Reserven weltweit den Spielraum, um Millionen Menschen Wohnungen und ein würdiges Leben zu spendieren. Doch anstatt in den Boom-Jahren die Abhängigkeit zu verringern - 95 Prozent der Einnahmen stammen aus dem Ölexport - und die Ölindustrie zu modernisieren, wurde weiter fast alles aus dem Ausland importiert, von Toilettenpapier bis Lebensmitteln.

Als dann der Ölpreis einbrach und die Inflation die höchste der Welt wurde, verschärfte sich die Krise dramatisch. Mehr als drei Millionen Menschen sind vor dem Elend geflohen. Und die, die geblieben sind, stehen in Schlangen vor Supermärkten. Überall wühlen Menschen im Müll nach Essen - während die immer noch in großer Zahl vorhandene Oberschicht per WhatsApp völlig überteuerte Lieferungen vom Schwarzmarkt in die Tiefgaragen ihrer streng gesicherten Luxusappartments bestellt.

Öl als Fluch und Segen zugleich

"Ein Kilogramm Käse kostet 18 Tage Mindestlohn, ein Kilo Fleisch fast einen Monat", schreibt der frühere Planungsminister Ricardo Hausmann in einer Analyse. Er fordert internationale Hilfe, um den "Alptraum" zu beenden. Das ganze Land ist eine Black Box, auch wer wie die Staatswirtschaft kontrolliert. Wer die Ölindustrie bei Maracaibo besucht, kann den ganzen Ruin spüren.

Die Förderung ist dramatisch eingebrochen, im vergangenen Jahr laut Hausmann um weitere knapp 40 Prozent auf nur noch 700 000 Barrel am Tag. Maduro hat nach örtlichen Medienberichten fast die gesamten Goldreserven verscherbelt, aber dank des Öls gibt es noch Devisen, um den Machterhalt zu sichern. Denn es wurden Abhängigkeiten in der Not geschaffen. Um in den Genuss von günstigen Lebensmittelpaketen (Öl, Reis, Thunfisch, Milchpulver und Mehl) zu kommen, muss man ein "Carnet de la Patria" beantragen - und erklären, die Regierung zu unterstützen. Nur mit diesem "Vaterlandsausweis" gibt es bestimmte Leistungen des Staates.

Seit Monaten spielt die US-Regierung von Donald Trump mit der Option, den Ölhahn ganz zuzudrehen - das könnte der Regierung Maduros und der vom Militär dominierten Staatswirtschaft den Todesstoß versetzen - aber zugleich das Elend der Bevölkerung derart verschärfen, dass ein unkalkulierbares Szenario bis hin zum Bürgerkrieg drohen könnte. Daher versuchte es Washington bisher mit dem Einfrieren ausländischer Konten von führenden Sozialisten.

Mehr als zehn Prozent der Ölimporte der USA kamen zeitweise aus dem Land des Klassenfeindes - es ist auch nicht einfach, dafür schnell Ersatz zu finden. Das Öl ist zwar von minderer Qualität, recht schwer, aber ein Importstopp der USA könnte in Zeiten einer zunehmend fragilen Konjunktur auch steigende Ölpreise zur Folge haben.

Selbst die Weltbank hat keine Zahlen

Eine schwarze Box ist Venezuela auch, was Zahlen anbelangt. Die Lage ist so düster, dass einfach keine Daten mehr veröffentlicht werden. Auch die Weltbank tappt im Dunkeln. Von 2014 bis 2015, den letzten verfügbaren Daten, brach die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung nach Angaben von "Focus Economics" von 15 929 US-Dollar auf 6042 US-Dollar ein.

Die Venezolaner sind seither zu wahren Lebenskünstlern geworden - in der Hoffnung auf einen Wandel. In Mérida zum Beispiel schaffte es die Heladería Coromoto einst mit bis zu 870 verschiedenen Eissorten in das Guinness-Buch der Rekorde, darunter so wunderbare Kreationen wie "Amor de mi Vida" ("Liebe meines Lebens") und "Corazón mio" ("mein Herz"). Doch weil keine Milch und andere Zutaten zu bekommen sind, steht an der berühmten Eisdiele immer wieder: "Leider geschlossen".

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