Es den Deutschen heimzahlen
Deshalb haben so viele Deutschtürken "Evet" gesagt
- Veröffentlicht: 18.04.2017
- 13:56 Uhr
- dpa
Gökay Sofuoglu, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kennt einen der Gründe.
Deutschtürken haben aus Sicht des Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, auch aus Protest das Präsidialsystem Recep Tayyip Erdogans mehrheitlich unterstützt. "Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnten aus ihrer Sicht hier empfinden", sagte Sofuoglu am Dienstag dem Südwestrundfunk.
"Dass sie sich diskriminiert fühlen, dass sie sich ausgegrenzt fühlen, hat, denke ich, zu der ganzen Diskussion vor dem Referendum und den Spannungen zwischen Europa und der Türkei geführt." Erdogan habe das sehr polemisch aufgegriffen und Europa und Deutschland als Feindbild genommen. Das sei bei den Leuten auch gut angekommen, ergänzte Sofuoglu. In Deutschland konnte Erdogan fast eine Zweidrittelmehrheit hinter sich vereinen.
Bei der Integration von Türken in Deutschland müsse «auf jeden Fall einiges nachgebessert werden», sagte Sofuoglu. Die große Zustimmung für Erdogans Präsidialsystem habe aber auch andere Gründe. "Die AKP und Erdogan hat den Menschen in den letzten Jahren ein gewisses 'Wir'- und Sicherheitsgefühl gegeben. Das hat natürlich dazu geführt, dass viele unreflektiert angefangen haben, Erdogan zu unterstützen." Sie hätten sich wenig mit Inhalten auseinandergesetzt und blind "ja" gesagt.
Özdemir: Versäumnisse der Integrationspolitik
Grünen-Chef Cem Özdemir sieht die in Deutschland lebenden Türken, die beim Verfassungsreferendum in der Türkei für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt haben, in Erklärungsnot. "Ein Teil der Deutschtürken muss sich kritische Fragen gefallen lassen", sagte er in der ARD. Sie genössen in Deutschland die Vorteile der Demokratie, richteten in der Türkei aber eine Diktatur ein. "Wir müssen über Versäumnisse der Integrationspolitik reden", sagte der Schwabe mit türkischen Wurzeln.
Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei liegen Özdemir zufolge auf Eis. "Man sollte sie ganz hinten in den Schrank schieben." Wenn die Türkei die Todesstrafe einführe, sei es das Ende der Beitrittsverhandlungen, und dann fliege das Land auch aus dem Europarat. Die Türkei sei zudem kein verlässlicher Nato-Partner. Es sei fraglich, ob das Land seine Verpflichtungen als Bündnispartner noch erfüllen könne.
Nach dem vorläufigen Endergebnis votierten insgesamt 51,4 Prozent der abstimmenden Türken für eine Verfassungsreform. In Deutschland waren es 63,1 Prozent. Das damit angenommene neue türkische Präsidialsystem verleiht dem Staatsoberhaupt deutlich mehr Macht. Die Opposition, die eine Ein-Mann-Herrschaft des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan befürchtet, fordert wegen Unregelmäßigkeiten eine Annullierung der Abstimmung.