Bundesaußenminister mahnt
Eisige Blicke und Misstöne bei Steinmeier-Besuch in Ankara
- Veröffentlicht: 15.11.2016
- 20:50 Uhr
- dpa
Die türkische Regierung wittert überall Staatsfeinde. Wer Präsident Erdogan kritisiert, läuft Gefahr als "Terrorist" verfolgt zu werden. In diesem aufgeheizten Klima kann Steinmeier wenig ausrichten. Er mahnt. Seine türkischen Gesprächspartner reagieren gereizt.
Die türkische Regierung hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei seinem ersten Besuch in Ankara seit dem Putschversuch im Juli mit Vorwürfen überhäuft. Präsident Recep Tayyip Erdogan empfing den deutschen Minister am Dienstag zwar, setzte beim Händeschütteln aber eine eisige Miene auf. Außenminister Mevcüt Cavusoglu wetterte nach seinem Gespräch mit Steinmeier, Deutschland sei ein Zufluchtsort für PKK-Terroristen und Anhänger des "geisteskranken" Predigers Fethullah Gülen. Seine Regierung macht die Gülen-Bewegung für den gescheiterten Putsch verantwortlich.
Auch Steinmeier sparte nicht mit Kritik. Er sprach die Massenverhaftungen der vergangenen Monate sowie die jüngsten Einschränkungen der Meinungsfreiheit an. "Versteht es bitte in der Türkei nicht als Anmaßung, nicht als Belehrung von oben herab", sagte er. Der "direkte Kontakt" sei wichtig und besser als Schuldzuweisungen über die Medien.
Gespräche trotz Differenzen
Trotz der unversöhnlichen Haltung der türkischen Seite bewertete Steinmeier die Reise positiv. "Es war klar, dass sich die Meinungsverschiedenheiten nicht durch einen Besuch und ein paar Gespräche ausräumen lassen würden", sagte er. "Dennoch ist es gut, gereist zu sein, schon um ein eigenes Bild von der Lage im Land zu bekommen, auch in den Gesprächen mit Opposition und Zivilgesellschaft", fügte er hinzu.
Auch die türkische Seite demonstrierte, dass sie trotz aller Misstöne im Gespräch bleiben will. Ministerpräsident Binali Yildirim und Staatspräsident Erdogan erklärten sich am Dienstag kurzfristig bereit, Steinmeier zu empfangen. Steinmeier sprach zwei Stunden mit Erdogan. Aus Delegationskreisen hieß es, es sei ein "intensiver und konzentrierter Meinungsaustausch im kleinen Kreis" gewesen, "auch zu den schwierigen Themen".
Treffen mit HDP-Abgeordneten
Die Gastgeber beklagten sich bitter über negative Türkei-Berichte in deutschen Medien. Steinmeier traf im Parlament auch Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, deren Führung derzeit im Gefängnis sitzt.
Cavusoglu kritisierte noch einmal die Armenier-Resolution des Bundestages. Gleichzeitig drückte er seine Hoffnung aus, dass die deutsch-türkischen Beziehungen bald wieder "auf dem alten Stand" sein könnten.
Außenminister betont Bedeutung der Incirlik-Besuche
Steinmeier sagte, er sei "mindestens irritiert" über Erdogans Vorwurf, Deutschland sei ein sicherer Rückzugsraum für Terroristen der verbotenen Arbeiterpartei PKK. Diesen Vorwurf "können wir schlicht und einfach nicht nachvollziehen", fügte er hinzu. Steinmeier sagte während der gemeinsamen Pressekonferenz, er habe bei dem Treffen mit seinem türkischen Kollegen betont, dass Besuche deutscher Abgeordneter bei der Bundeswehr in Incirlik auch weiterhin möglich sein müssten.
Nach einer zeitweiligen Besuchssperre hatte die türkischen Regierung im Oktober einen Besuch von Mitgliedern des Verteidigungsausschusses des Bundestages auf dem Nato-Stützpunkt bewilligt. Von Incirlik aus starten deutsche Piloten zu ihren Unterstützungsflügen für die Allianz zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien. Im Moment ist allerdings ohnehin nicht klar, was der Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen für die Zukunft dieses Einsatzes bedeutet.
Harsche Kritik an Regierung in Ankara
Menschenrechtler und Oppositionelle werfen der türkischen Regierung vor, sie nutze den Putschversuch vom 15. Juli und die Terrorbekämpfung als Vorwand, um Kritiker mundtot zu machen und alte Rechnungen zu begleichen.
Die Linke forderte derweil ein sofortiges Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Ich finde es wahnsinnig, weiterhin Beitragsverhandlungen mit einer Diktatur zu führen", sagte die außenpolitische Expertin der Linken im Bundestag, Sevim Dagdelen, im ARD-Morgenmagazin.