Kommando Spezialkräfte
Elitekämpfer ohne Heldenstatus
- Veröffentlicht: 11.07.2017
- 08:25 Uhr
- dpa
KSK - diese drei Buchstaben stehen für eine ganz besondere Einheit der Bundeswehr. Die Mitglieder gelten als härter, schneller und kampferprobter als der Rest der Truppe: ein Elite-Kommando, das streng geheim operiert. Nur manchmal dürfen Reporter sie besuchen.
Der Angriff erfolgt am helllichten Tag mitten in einem Wohngebiet in Magdeburg. Ein Dutzend schwer bewaffnete Soldaten taucht aus dem Gestrüpp vor einem zweistöckigen Bürogebäude aus DDR-Zeiten auf. Es steht seit Jahren leer. «Achtung, ich schieße», ruft einer. Eine Stahltür wird aufgesprengt, das Gebäude gestürmt. Zehn Minuten sind im Inneren Feuersalven und Explosionen zu hören. Dann herrscht Stille.
Was hier passiert, ist weder eine reale Militäroperation noch handelt es sich um die Dreharbeiten für einen Kriegsfilm. Es ist das Training der wohl härtesten Einheit der Bundeswehr: KSK. Die drei Buchstaben stehen für das vor rund 20 Jahren gegründete Kommando Spezialkräfte, um das sich reichlich Mythen und Legenden ranken.
Was für den deutschen Fußball die Nationalmannschaft ist, ist für die Bundeswehr das KSK. Die Kommandosoldaten gelten als die Besten der Besten. Keine andere Einheit ist so kampferprobt und so hervorragend ausgerüstet wie das KSK. Ihre Mitglieder haben im Ausland Kriegsverbrecher und Terroristen gejagt.
Die Elitetruppe könnte eigentlich ein Aushängeschild der Bundeswehr sein. Sie darf es aber nicht, weil ihre Operationen strengster Geheimhaltung unterliegen. Nur Insider wissen, was das KSK genau macht. Früher ging die Geheimhaltung so weit, dass man nicht einmal die eigenen Einsatzerfahrungen nutzen konnte. Das alles bietet Raum für Spekulationen und Gerüchte. Die waren dem Image der Truppe nicht immer zuträglich. Deswegen öffnet man sich nun etwas und lässt - ausnahmsweise - Journalisten als Beobachter bei Übungen zu.
«Koste es was es wolle. Wir holen Dich da raus»
In Magdeburg wird das trainiert, was die Ursprungsaufgabe des KSK ist: die Rettung deutscher Geiseln aus Krisengebieten. Im Übungsszenario ist Magdeburg eine Stadt in Tschetschenien. Zwei Deutsche sind von islamistischen Terroristen verschleppt worden. Die Entführer haben ein Ultimatum gestellt: Wenn ihre Forderungen bis 15 Uhr nicht erfüllt sind, werden die Geiseln «abgeschlachtet», drohen sie. Der Krisenstab des Auswärtigen Amts in Berlin entscheidet sich für eine «robuste Lösung». Im Klartext: Geiselbefreiung mit Gewalt.
Genau dafür ist das KSK im September 1996 gegründet worden. Auslöser waren schlechte Erfahrungen während des Völkermords in Ruanda. 1994 waren elf Deutsche in der Hauptstadt Kigali eingeschlossen worden. Sie wurden von belgischen Soldaten befreit und außer Landes gebracht. So eine Rettungsaktion in Konfliktgebieten wollte Berlin künftig selbst leisten können. «Die Fähigkeit, im Notfall eigene Staatsbürger im Ausland aus Gefahr für Leib und Leben retten zu können, gehört zur grundlegenden Verantwortung eines jeden Staates», begründete der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die Bildung der Spezialtruppe.
Diesem Hauptauftrag konnte sie seitdem allerdings nicht nachkommen. Die Elitekämpfer haben in den vergangenen 20 Jahren Kriegsverbrecher auf dem Balkan festgenommen und Aufständische in Afghanistan bekämpft. Aber wenn Deutsche im Ausland verschleppt wurden, hat noch niemand das KSK gerufen.
Nur wenige Tage vor der Übung in Magdeburg war ein 70-jähriger Deutscher von der Terrorgruppe Abu Sayyaf auf den Philippinen enthauptet worden. Der Mann war mit seiner Lebensgefährtin auf einer Jacht zwischen den Philippinen und Malaysia unterwegs gewesen. Das Paar wurde überfallen. Die Terroristen erschossen die 59 Jahre alte Frau gleich. Den Segler hielten sie über Monate als Geisel fest.
Es kann viele politische Gründe geben, dass die KSK-Mitglieder in solchen Fällen nicht ausrücken. Für die Soldaten ist es aber oft bitter. Für sie sei die Geiselbefreiung weiter die Kernaufgabe, sagt Ausbilder Jens. «Koste es, was es wolle. Wir holen dich da raus. Diese Passion tragen die Leute in sich.» Und was macht das mit einem, wenn man dann die Bilder von den Philippinen im Fernsehen sieht? «Es ist frustrierend, aber man lernt, damit umzugehen», sagt Jens. Es gehört zum Soldatenberuf: Man weiß, was man kann. Aber wann man es anwenden darf, entscheidet die Politik.
«Der Wille entscheidet»
Der Name Jens ist frei erfunden. Kommandosoldaten nennen keine Namen, auch keine Vornamen. Jens ist 37 und seit zehn Jahren beim KSK. Wir treffen ihn in der Ruine eines alten Kasernengebäudes auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in Sachsen-Anhalt. Um ihn herum liegen Rücksäcke, Scharfschützengewehre, Nachtsichtbrillen, Gefechtshelme - was man so alles in Spezialoperationen mitnimmt. Feldbetten ohne Matratzen stehen herum, an der Wand hängt eine Deutschlandfahne.
Weil eine Kamera läuft, trägt Jens eine olivfarbene Sturmhaube während des Interviews. Nur die Augen sind zu sehen. Mehr geht nicht. Die Nase wäre schon zu viel, dann könnte man ihn per biometrischer Gesichtserkennung identifizieren.
Jens wollte eigentlich Leistungssportler werden, hat studiert und landete schließlich bei der Bundeswehr. Mit 37 gehört er heute zu den ältesten in der Truppe, wirkt aber immer noch fitter als einige seiner zehn Jahre jüngeren Kameraden. Er ist größer als die meisten und hat die Figur eines Kampfsportlers. In den vergangenen 72 Stunden hat er nur 4 Stunden geschlafen. Man merkt ihm davon nichts an.
«Zehnkämpfer der Bundeswehr» - das ist einer der Vergleiche, mit denen die KSK-Soldaten beschrieben werden. Wer dazu gehört, hat die sogenannte Höllenwoche überstanden, den brutalsten Teil des Auswahlverfahrens. Weniger als zwei von zehn Bewerbern kommen durch. «Facit Omnia Voluntas» - «Der Wille entscheidet» ist das Motto des Kommandos. Und wer den Gewaltmarsch mit Baumstamm auf dem Rücken in der vorgegebenen Zeit geschafft hat weiß, was das bedeutet.
Schon der gemeinsame Leidensweg schweißt die Soldaten zusammen. Später kommen lebensgefährliche Einsätze hinzu. Da müssen sich die Kommandosoldaten aufeinander verlassen können: «So eine Kameradschaft findet man sonst nicht», sagt Jens.
Die Soldaten in seiner Kompanie kennen sich teilweise 10 bis 15 Jahre. Sie teilen auch die Entbehrungen, die ihr Job bringt. Familie kann nicht groß geschrieben werden, wenn man 270 Tage im Jahr unterwegs ist - im Einsatz oder auf Übung. Jens drückt das so aus: «Ich habe Familie, aber mit klarem Rahmen.»
Zum Rahmen der KSKler gehört, dass nur der engste Familien- und Freundeskreis von ihren Jobs erfährt. Die meisten haben es vielleicht einer Handvoll Menschen erzählt. Und was im Einsatz passiert, soll ohnehin in der Truppe bleiben. «Wenn ich eine Frau kennenlernen würde, die die Details wissen wollte, würde ich Verdacht schöpfen, dass sie mich abschöpft. Das soll es alles schon gegeben haben», sagt einer der Soldaten.
Truppenstärke: «Betriebsgeheimnis"
Calw, ein kleines, unscheinbares Nest im Schwarzwald, ist die Heimat des KSK. Die Graf-Zeppelin-Kaserne war bis vor nicht allzu langer Zeit noch streng abgeschottet. «Früher ist man mit einem Presseausweis noch nicht einmal bis zur Pforte gekommen», sagt jemand zur Begrüßung. Heute gibt es seltene Ausnahmen. Journalisten kommen aber nur rein, wenn sie vorher schriftlich versichern, dass sie keine Staatsgeheimnisse verraten.
«Offenlegung von Identitäten oder Rückschlüsse auf die Einsatzfähigkeit können zur Gefahr für Leib und Leben von Soldaten führen», heißt es in der Erklärung, die beim Betreten der Kaserne unterzeichnet werden muss.
Auf den ersten Blick ist Calw ein Bundeswehrstandort wie andere. Auf den zweiten Blick wirkt er moderner und besser ausgestattet als die meisten Kasernen des Heeres. Zum Gelände gehört ein Abseilturm, gerade wird eine Schwimmhalle gebaut. Außerdem ist man stolz auf das «modernste Schießhaus Europas». Am Eingang hängt ein Schild mit einem Gewehr, einer Pistole, einer Zielscheibe und der Aufschrift «Schön Dich zu treffen!». Soldatenhumor.
In Calw sind 1400 Soldaten stationiert, nur ein kleiner Teil gehört zum harten Kern der Kommandosoldaten, die an vorderster Front eingesetzt werden. Die Zahl der Elitesoldaten wird in Medienberichten mit etwa 300 beziffert. Offiziell bestätigt ist das nicht: «Betriebsgeheimnis», heißt es.
«Geheimhaltung wurde zum Evangelium»
Mehr als vier Jahre war Dag Baehr der Chef in Calw. Nur der Kommandeur zeigt Gesicht und gibt seinen Namen preis. Keiner hatte so lange das Kommando über die Elitetruppe wie der 51-jährige Brigadegeneral. Er war auch der einzige KSK-Chef, der selbst zum Kommandosoldaten ausgebildet wurde - als einer der ersten, im Jahr 1996. Nachdem er bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall zum Kompaniechef aufgestiegen war, drohte ihm ein Job am Schreibtisch. «Dem wollte ich natürlich entkommen», sagt er.
Schon damals war der Schutz der Identität den KSK-Soldaten heilig. «In den ersten Jahren des Balkaneinsatzes gab es schon so etwas, was man als Vergeltungsrisiko bezeichnen konnte. Diese damals festgestellte Schutzbedürftigkeit der Soldaten war die Keimzelle für die Geheimhaltung», berichtet Baehr. Er räumt ein, dass man in den Anfangsjahren zu weit ging. «Geheimhaltung wurde zum Evangelium», hat er einmal gesagt.
Wer zu geheim agiert, kann auch nicht dagegenhalten, wenn Gerüchte und Legenden entstehen. Das KSK geriet in seiner Geschichte mehrfach ins Zwielicht. 2006 warf der von den USA viele Jahre in Guantanamo festgehaltene Deutsch-Türke Murat Kurnaz KSK-Soldaten vor, ihn im afghanischen Kandahar misshandelt zu haben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss brachte keine eindeutige Klärung.
Wenige Jahre später spielte das KSK erneut eine Rolle in einem Untersuchungsausschuss. Diesmal ging es um das von einem Bundeswehroberst befohlene Bombardement zweier Tanklaster in der afghanischen Provinz Kundus, bei dem 2009 etwa 100 Menschen starben.
Was die KSK-Soldaten in Afghanistan gemacht haben und noch tun, ist nur in Bruchstücken an die Öffentlichkeit gelangt. Auch der Bundestag erfährt nur von abgeschlossenen Operationen. Die Obleute der Fraktionen in den Ausschüssen für Verteidigung und Auswärtiges in Berlin werden regelmäßig darüber unterrichtet, dürfen die Informationen aber nur an ihre Fraktionschefs weitergeben.
Die Opposition würde die Geheimhaltungspraxis gerne lockern. Die Grünen fordern, den kompletten Bundestag über zurückliegende Einsätze zu informieren und - soweit es geht - auch die Öffentlichkeit einzubeziehen. Ausgenommen bleiben sollten aber Angaben über die Identität der Soldaten. Der Linke-Abgeordnete Alexander Neu meint sogar, dass für das KSK dieselben Regeln wie für andere Truppenteile gelten müssten - also Information des gesamten Parlaments über Einsätze und nicht nur einzelner Abgeordneter.
Ex-Kommandeur Baehr hält davon wenig. «Wenn man hört geheim, dann führt das zur reflexhaften Annahme, dass es verboten sein könnte oder nicht kontrolliert ist. Da gibt es aber nichts, was völlig willkürlich im Einsatzgebiet passiert», sagt er. Ein KSK-Soldat könne noch nicht einmal «den kleinen Finger krumm machen», ohne dass das Einsatzführungskommando und das Verteidigungsministerium davon wüssten. «Und auch das Ministerium kann es sich nicht leisten, etwas zu verschweigen. Dazu hängen viel zu viele Leute nicht nur an ihren politischen, sondern auch an ihren militärischen Karrieren.»
«Uns fehlt unser Mogadischu»
Zurück in Magdeburg. Der Sturm auf das Bürogebäude hat nicht zum Ziel geführt. Die Terroristen sind zwar ausgeschaltet. Die Geisel wurde vor dem Angriff aber in ein Nachbargebäude verschleppt und mit einem Sprengsatz in einem Keller angekettet. Außerdem hat Ausbilder Jens einen Toten zu beklagen. «Das Überraschungsmoment war auf Seite des Feindes», sagt er.
Es folgt ein zweiter Befreiungsversuch. Beim Sturm des Nebengebäudes kommt auch der Spezialdiensthund Drago zum Einsatz. Er ist so trainiert, dass er mit dem Fallschirm im Einsatzgebiet abspringen kann. Letzter heikler Moment ist die Entschärfung des Sprengsatzes auf dem Schoß der Geisel. Dann heißt es: Mission erfüllt.
Als die Geisel das Kellerverlies verlässt, steht oben an der Treppe ein Offizier aus Calw, der eigens für den Abschluss der Übung angereist ist. Er nennt sich Torsten und ist zufrieden mit dem, was er gesehen hat. Aber es gibt auch etwas, das ihn stört: «Wir bräuchten eigentlich einen solchen Einsatz, um zu zeigen, was wir draufhaben. Uns fehlt unser Mogadischu.»
Im somalischen Mogadischu hat das KSK-Gegenstück der Bundespolizei 1977 Heldenstatus erlangt. Die Grenzschutzgruppe 9, besser bekannt als GSG9, befreite damals fünf Jahre nach ihrer Gründung die Passagiere des Lufthansaflugzeugs «Landshut» aus den Händen palästinensischer Terroristen. Auch 40 Jahre danach prägt dieser Erfolg den Ruf der Polizei-Truppe.
Das KSK hat dagegen bis heute keine Vorzeige-Mission. Sie wird in der Öffentlichkeit vor allem mit Kriegseinsätzen in Afghanistan in Verbindung gebracht, die von einer Mehrheit abgelehnt werden. Für die Soldaten mit den wohl gefährlichsten Jobs, die es im Dienste der Bundesrepublik gibt, birgt das eine gewisse Tragik. Die Anerkennung für Einsätze bleibt ebenso im Verborgenen wie die Aktionen selbst.
Ausbilder Jens in Altengrabow zweifelt trotz Gefahren und privaten Entbehrungen nicht, dass er den richtigen Beruf gewählt hat. Das KSK sei für ihn so etwas wie eine Familie, sagt er durch seine Sturmhaube. «Das Ding ist alternativlos. Das ist das, wo ich sage: Punkt, Ziel, Mitte.»