Nach einem Verhandlungsmarathon
EU-Gipfel: Einigung mit Großbritannien steht
- Veröffentlicht: 20.02.2016
- 14:44 Uhr
- dpa
Dramatische Stunden in Brüssel: Nach einem Verhandlungsmarathon steht der Briten-Deal. Damit wendet die EU zunächst eine existenzbedrohende Krise ab. "Brexit"-Befürworter attackierten Großbritanniens Premier Cameron. Am 23. Juni dürfen die Briten darüber abstimmen.
Weniger Sozialleistungen für europäische Zuwanderer, mehr Abstand zur EU: Großbritanniens Premier David Cameron hat beim Gipfel gewünschte Zugeständnisse bekommen, um sein Land in der Union zu halten. Der EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen am Freitagabend in Brüssel einstimmig das lange umstrittene Reformpaket.
"Die Einigung ist gut, die Einigung ist juristisch solide, die Einigung ist im hohen Maße ausgeglichen", bilanzierte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach einem zweitägigen Verhandlungsmarathon.
Abstimmung am 23. Juni
Cameron sagte, er werde seinen Landsleuten ans Herz legen, bei dem geplanten Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU mit Ja zu stimmen. Sein Land werde aber seinen Sonderweg weitergehen: "Großbritannien wird nie Teil eines europäischen Superstaates sein." Auch die Euro-Währung solle nicht eingeführt werden.
Der Herr von Downing Street 10 will seine Landsleute am 23. Juni darüber abstimmen lassen, wie er am Samstagmittag nach einer Kabinettssondersitzung in London bekanntgab. Er werde für den Verbleib in der Gemeinschaft werben. Ein Austritt wäre ein "Schritt ins Dunkle", warnte er. Der Ausgang des Referendums ist laut Umfragen ungewiss. Falls die Abstimmung scheitert, kommt der von vielen EU-Partnern befürchtete "Brexit".
Merkel wünscht Cameron das Allerbeste
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Abmachung mit Cameron. "Man kann das schon einen Kraftakt nennen, den wir hier aufbringen mussten." Manche Kompromisse seien ihr aber nicht leicht gefallen. Das gelte vor allem für das Ziel einer "immer engeren Union", von dem sich London nun verabschiedet hat. "Ich glaube, dass wir Großbritannien nicht zu viel gegeben haben." Die Kanzlerin schloss ihre Pressekonferenz mit den Worten: "Nun wünsche ich David Cameron das Allerbeste."
Merkel hält Teile der Gipfel-Vereinbarungen über Sozialleistungen für EU-Ausländer auch in Deutschland für anwendbar. "Gerade die Frage des Sozialmissbrauchs beschäftigt uns in Deutschland auch." Das gelte etwa für die Regelung, das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten in den Ländern anzupassen, in denen die Kinder tatsächlich leben. "Auch Deutschland kann davon Gebrauch machen, kann ich mir vorstellen."
Für Deutschland nicht in Frage komme dagegen die auf Großbritannien zugeschnittene Lösung, den Zugang zu bestimmten Sozialleistungen für EU-Ausländer für vier Jahre auszusetzen. Laut Kompromiss darf London diese "Notbremse" sieben Jahre lang nutzen.
Komplizierte und zähe Verhandlungen
Mit der Abmachung wendet die EU zunächst eine existenzbedrohende Krise ab. Ein Scheitern des Gipfels hätte mitten in der Flüchtlingskrise ein verheerendes Signal der Handlungsunfähigkeit gesendet, berichteten Diplomaten. Nun liege der Ball im Feld von Cameron.
Die Gipfel-Verhandlungen waren äußerst zäh und kompliziert und zogen sich seit Donnerstag hin. Gipfelchef Donald Tusk verhandelte meist in kleinen Runden, um Kompromisse auszuloten. Schon in den Monaten und Wochen davor hatte es intensive Kontakte zwischen Hauptstädten gegeben, um den Briten-Deal abzusichern. Insbesondere in mittel- und osteuropäischen Länder gab es viele Bedenken. So arbeiten viele Polen auf der Insel.
"Brexit"-Befürworter attackieren Cameron
Nach der Einigung in Brüssel haben EU-Gegner in London Premierminister Cameron attackiert. Die Vereinbarung sei "nicht das Papier wert, auf der sie geschrieben ist", sagte Nigel Farage von der rechtspopulistischen UKIP am Freitagabend bei einer Veranstaltung von Brexit-Befürwortern in London.
Zugleich berichteten britische Medien, dass sich mindestens vier Minister gegen Cameron stellen und beim Referendum für einen EU-Austritt werben wollten. Darunter sei auch Justizminister Michael Gove, ein bisheriger enger Vertrauter Camerons. Bis zu einem Fünftel der Tory-Abgeordneten seien Brexit-Befürworter.
Auch der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn äußerte sich kritisch. Camerons Verhandlungen in Brüssel seien lediglich eine "theatralische Sideshow...mit dem Ziel, seine Gegner in der konservativen Partei zu beruhigen", sagte Corbyn kurz vor dem Durchbruch in Brüssel. Er werde sich aber für einen Verbleib in der Gemeinschaft einsetzen, fügte Corbyn hinzu.
Rede im Unterhaus am Montag
Am Montag will Cameron im Parlament auftreten. Die Minister sollen dann auch grünes Licht erhalten, mit ihren Kampagnen für oder gegen den EU-Austritt zu beginnen.
Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite kündigte die Abmachung als erste an. Sie schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Vereinbarung steht. Drama vorbei." Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen teilte ebenfalls auf Twitter mit: "Guter Deal für Großbritannien und für die EU."