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Referendum auf der Krim

"Ja" oder "Ja" zum Russland-Anschluss?

  • Veröffentlicht: 13.03.2014
  • 21:45 Uhr
  • cwe, RTR
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© DPA

Wenn die Bewohner der Krim am Sonntag über die Zukunft ihrer Halbinsel abstimmen, ist ein "Njet" an die Adresse Russlands nicht vorgesehen: Auf dem Stimmzettel fehlt schlicht die Möglichkeit, für den Verbleib der autonomen Region Krim in der Ukraine zu votieren. Stattdessen können die Bürger ihr Kreuz lediglich hinter einer von zwei Fragen machen: "Sind Sie für die Wiedervereinigung der Krim mit Russland?", oder "Sind Sie für die Wiederherstellung der Verfassung von 1992 und den Status der Krim als Teil der Ukraine?"

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Wer letzteres ankreuzt, scheint für den Verbleib der Krim in der Ukraine zu stimmen. Experten sehen dies jedoch anders. Denn die rasch wieder abgeschaffte Verfassung von 1992 verlieh der Krim zwar alle Eigenschaften einer unabhängigen Gebietskörperschaft in der Ukraine. Doch sie legitimierte die Halbinsel zugleich, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und Beziehungen zu unterhalten, mit wem sie wollte - Russland eingeschlossen.

Da die pro-russische Regionalversammlung angekündigt hat, Russland beitreten zu wollen, bedeutet ein Kreuz hinter der zweiten Frage nach Einschätzung von Experten nur eines: Dass es ein wenig länger dauern dürfte, bis Russland die volle Kontrolle über die Krim übernimmt.

Lehrstück in Wahlbetrug und Einschüchterung

Dabei steht die Legitimation der Krim-Regierung unter der Führung des russischen Separatisten Sergej Aksionow durchaus infrage. Mehrere Oppositionsabgeordnete sprechen von einem Lehrstück in Wahlbetrug und Einschüchterung, wenn sie den blitzartigen Aufstieg des 41-Jährigen zum Ministerpräsidenten der Halbinsel beschreiben. Seine Partei hatte bei der Parlamentswahl 2010 gerade mal vier Prozent der Stimmen erhalten.

"Es war ein großes, trauriges Spektakel", sagt Leonid Pilunski zur Abstimmung der Regionalversammlung hinter verschlossenen Türen über Aksionow. Pilunski ist einer von mehreren Abgeordneten, die öffentlich von Wahlbetrug sprechen. Die Führung in Moskau dagegen weist jegliche Verwicklung in den plötzlichen Aufstieg Aksionows zurück, dem noch aus seiner Zeit als Geschäftsmann der Spitzname "Der Kobold" anhängt. Sie spricht von einem Volksaufstand auf der Krim, der sich gegen den Umsturz in Kiew richte.

Die Übergangsregierung in Kiew dagegen ist sich sicher, dass Aksionow von Russland ins Amt gehievt wurde. Diese Meinung teilen auch Lokalpolitiker auf der Krim, die weiter loyal zur Ukraine stehen, sowie selbst Experten, die mit Russland sympathisieren. "Moskau hat immer auf (den abgesetzten Präsidenten Viktor) Janukowitsch gesetzt", sagt der Experte Sergej Markow, der dem Kreml nahesteht. "Aber nach dem Staatsstreich in Kiew entschloss man sich, die Abspaltung der Krim von der Ukraine voranzutreiben. Moskau suchte nach einem Anführer - und wählte Aksionow aus."

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Panikmache im Fernsehen

In den Tagen nach Janukowitschs Flucht aus Kiew rekrutierten pro-russische Gruppen auf der Krim Freiwillige für Bürgerwehren. Die Milizionäre waren aufgestachelt durch russische Fernsehberichte, wonach ukrainische Nationalisten von der Hauptstadt aus unterwegs seien auf die Halbinsel.

Am Tag vor dem Machtwechsel auf der Krim kam schließlich das Regionalparlament zusammen, um über ein Referendum zu beraten, das die Anbindung an die Zentralregierung in Kiew lockern sollte. Während drinnen die Abgeordneten tagten, lieferten sich draußen vor der Tür pro-russische Demonstranten Straßenschlachten mit Befürwortern einer Einheit der Ukraine.

Pilunski und ein weiterer oppositioneller Abgeordneter verhinderten an diesem Tag eine Abstimmung über ein Referendum: Sie lehnten es ab, sich als anwesend registrieren zu lassen. "Sie haben gebettelt, an uns appelliert und uns bedroht", berichtet Pilunski. Dies habe jedoch an ihrer Haltung nichts geändert - und die Versammlung habe die für eine Entscheidung nötige Mindestzahl von Abgeordneten verfehlt.

Fragwürdige Abstimmungen hinter verschlossenen Türen

Am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang eskalierte die Lage. Bewaffnete Männer stürmten das Parlamentsgebäude. Seither haben Journalisten dort keinen Zutritt mehr und können keine Auskunft darüber geben, ob bei weiteren Abstimmungen das Quorum erreicht wurde. Die Handys von Abgeordneten wurden beschlagnahmt.

Auch Anatoli Mogiljow, bis dahin Ministerpräsident der Krim, durfte das Parlament nicht betreten. Der von Janukowitsch ernannte Regierungschef hatte sich gegen eine Abspaltung der Krim ausgesprochen. Er gehört der bis dahin regierenden Partei der Regionen an, die über 80 der 100 Sitze im Parlament verfügte und sich öffentlich zu einer Autonomie der Krim innerhalb der Ukraine bekannte.

Auf der Internetseite der Regionalversammlung erschien noch in der Nacht die Meldung, Aksionow übernehme das Regierungsamt von Mogiljow. 53 Abgeordnete hätten dafür gestimmt. Die Regierung in Moskau sprach von einer rechtlich einwandfreien Entscheidung, obwohl keine Journalisten als Zeugen zugelassen waren.

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Abstimmungen offensichtlich gefälscht

Zumindest ein Abgeordneter der Partei der Regionen widerspricht dieser Darstellung. Obwohl er gar nicht an der Abstimmung teilgenommen habe, sei seine Stimme für Aksionow gezählt worden. "Ich war nicht einmal in Simferopol, aber meine Stimme wurde gezählt", kritisiert er. Seinen Namen will er nicht veröffentlicht sehen, weil er schon Drohanrufe bekommen habe.

Doppel der Stimmkarten seien aus dem Safe des Parlaments genommen worden, um im Namen abwesender Abgeordneter deren Stimmen abzugeben, erklärt der Parlamentarier. Er wisse von mindestens zehn Kollegen, deren Stimmen so gezählt worden seien, obwohl sie nicht an der Versammlung teilgenommen hätten. Aus Angst vor Vergeltung würden sie sich jedoch nicht öffentlich zu Wort melden.

"Ich kann Ihnen sagen, wie sie die Leute eingeschüchtert haben: Nachdem sie die erste Abstimmung gefälscht hatten, teilten sie uns mit, dass sie ein Strafverfahren gegen jeden eröffnen würden, der dies öffentlich macht", berichtet der Abgeordnete. "Diejenigen an der Macht sind keine echten Politiker, sondern Geschäftsleute. Es ist sehr leicht, Druck auf sie auszuüben. Sie haben viel zu verlieren".

Jahrhundertelang unter russischer Herrschaft

Die Krim ist die einzige Region der Ukraine, in der Russen die Mehrheit stellen. Sie stand jahrhundertelang unter russischer Herrschaft, bis der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow sie 1954 der Sowjetrepublik Ukraine schenkte. In den 90er Jahren gab es auf der Krim immer wieder Bestrebungen für eine Unabhängigkeit - besonders dann, wenn die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau gespannt waren.

Die USA und die ukrainische Führung warfen Russland damals vor, Unruhe zu schüren. Das letzte Mal, als sich die Bewohner der Krim für oder gegen die Zugehörigkeit zu Russland entscheiden konnten, stimmten sie 1991 mit dem Rest der Ukraine knapp für die Unabhängigkeit von dem großen Nachbarn. Trotz der Spannungen in den 90er Jahren gab es später unter Janukowitsch aber kaum noch offene Forderungen nach einer Abspaltung der Krim von der Ukraine oder einem Anschluss an Russland.

Mit der Absetzung Janukowitschs stellten sich die Abgeordneten seiner Partei der Regionen in Kiew hinter die neue Übergangsregierung. Auf der Krim dagegen wechselten einige seiner Parteigänger die Seite und unterstützten Aksionow, der - was am Ende wohl entscheidend war - auch den Präsidenten des Regionalparlaments, Wladimir Konstantinow, für sich gewann.

Damit hatte er die Kontrolle über die Abstimmungen hinter verschlossenen Türen, während bewaffnete Männer das Parlament bewachten. Pilunski vermutet, dass etliche Politiker der Janukowitsch-Partei sich auf die Seite Russlands schlugen, um Ermittlungen der neuen Regierung in Kiew wegen ihrer Amtsführung in den vergangenen Jahren abzuwenden.

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Russland oder Hakenkreuz?

Mit Blick auf das Referendum können sich diese Politiker recht sicher fühlen: Dank der russischen Mehrheit auf der Krim gilt es als wahrscheinlich, dass das Votum im Sinne Russlands ausfallen wird. Dennoch läuft eine pro-russische Plakatkampagne auf Hochtouren. Die großformatigen Poster zeigen zwei Landkarten als Zukunftsvisionen der Krim - eine bedeckt mit der russischen Fahne, die andere mit einem riesigen schwarzen Hakenkreuz.

In Sewastopol, der "Heldenstadt" des Zweiten Weltkrieges, wo auch die russische Schwarzmeerflotte ihren Heimathafen hat, fordert ein Plakat die Bürger auf, gegen die Faschisten zu stimmen. Es stellt das Referendum als Instrument dar, einen Machtgewinn der Rechtsextremisten in der Ukraine zu verhindern.

Wer dagegen den Status quo auf der Krim erhalten will, wird es am Sonntag schwer haben, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Wähler, die beide Fragen auf dem Stimmzettel ankreuzen oder keine, machen das Papier damit ungültig. Jeglicher Vermerk in einem der beiden Kästchen hinter den Fragen gilt als Ja-Stimme.

Wer nicht wählen geht, beeinflusst das Referendum auch nicht, da allein die Zahl der abgegebenen Stimmen entscheidet. Es gilt daher als sicher, dass sich die meisten Befürworter des Status quo enthalten werden - unter ihnen auch die etwa 250.000 Krim-Tataren, die eine russische Herrschaft besonders fürchten. Stalin hatte viele ihrer Vorfahren nach Usbekistan deportieren lassen.

"Wir leben in historischen Zeiten"

Dennoch gibt sich die Wahlkommission alle Mühe zu betonen, dass die Menschen auf der Krim tatsächlich die freie Wahl haben. Die Stimmzettel etwa sind im Internet in einer ukrainischen, einer tatarischen und einer russischen Version zu begutachten. "Wir leben in historischen Zeiten", sagt der in Russland geborene Chef der Wahlkommission in Sewastopol, Waleri Medwedew, vor der Presse.

"Sewastopol will sich so gern den Traum der Zugehörigkeit zu Russland erfüllen. Ich möchte Teil Russlands sein, und es ist mir nicht peinlich, das zu sagen." Dennoch werde es eine faire Abstimmung geben. Die Menschen müssten nur eine Frage beantworten, erklärt Medwedew, ehe er sich korrigieren und einräumen muss, dass es sich ja doch um zwei Fragen drehe: "Es geht darum, zu Russland zu gehören - oder zur Ukraine".

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