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Erdogan sperrt Oppositionspolitiker ins Gefängnis

Massive Kritik an der Türkei

  • Veröffentlicht: 04.11.2016
  • 18:15 Uhr
  • dpa
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© dpa

Die Bundesregierung sieht «alle internationalen Befürchtungen» bestätigt: Die Chefs der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP müssen in der Türkei ins Gefängnis. Alles rechtskonform, meint die Regierung in Ankara - und wettert stattdessen gegen Deutschland.

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Trotz internationaler Kritik an dem zunehmend autoritären Kurs der Türkei müssen die beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP ins Gefängnis: Ein Gericht in der Kurdenmetropole Diyarbakir verhängte am Freitag wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft gegen die Doppelspitze aus Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Insgesamt sei gegen acht HDP-Abgeordnete Haftbefehl erlassen worden. Unter ihnen sei auch der Chef der Fraktion im Parlament in Ankara, Idris Baluken.

Bei Polizeirazzien waren in der Nacht insgesamt zwölf HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier seien am Freitag unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, berichtete Anadolu. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die zweigrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Die Festnahmen riefen international Kritik und Sorge hervor. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte den türkischen Gesandten Ufuk Ezer ins Auswärtige Amt ein. Steinmeier sagte in Berlin: "Es ist jetzt an den Verantwortlichen in der Türkei, sich darüber klar zu werden, welchen Weg ihr Land gehen will und was das bedeutet für die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union." Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Festnahmen bestätigten "alle internationalen Befürchtungen".

Für die Türkei ist alles "rechtskonform"

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini berief ein Treffen der EU-Botschafter in Ankara ein. In einer Erklärung von Mogherini und EU-Kommissar Johannes Hahn hieß es, die jüngsten Entwicklungen gefährdeten die parlamentarische Demokratie in der Türkei und verschärften die bereits sehr angespannte Situation im mehrheitlich kurdischen Südosten des Landes.

Die türkische Regierung bezeichnete die Festnahmen als "rechtskonform" und äußerte ihrerseits erneut heftige Kritik an Deutschland. Die HDP warnte vor einem "Ende der Demokratie in der Türkei" und sprach von "politischer Lynchjustiz". In einem vorbereiteten Schreiben der betroffenen Abgeordneten hieß es: "Früher oder später wird unser Kampf für Demokratie siegen. Das verstaubte Regime in der Person von Erdogan wird zu einem Ende kommen."

Wenige Stunden nach den nächtlichen Festnahmen kam es in der Kurdenmetropole Diyarbakir zu einem schweren Autobombenanschlag, den die Regierung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zuschrieb. Yildirim sagte, mindestens acht Menschen seien getötet worden. Mehr als 100 Menschen seien zumeist leicht verletzt worden.

PKK ruft zum Widerstand auf

Die PKK rief am Freitag alle Kurden zum Widerstand auf. Worte reichten nicht mehr, hieß es in einer von der PKK-nahen Agentur Firat verbreiteten Mitteilung. "Heute ist der Tag, sich zu erheben gegen diejenigen, die die Existenz der Kurden auslöschen wollen."

Auf Betreiben von Erdogan war im Juni die Immunität zahlreicher Abgeordneter aufgehoben worden. Die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte Maßnahme richtete sich vor allem gegen die HDP: 55 der 59 HDP-Abgeordneten verloren ihre Immunität. Sie weigerten sich aber, gerichtlichen Vorladungen Folge zu leisten.

Justizminister Bekir Bozdag sagte am Freitag, weder Merkel noch die EU hätten das Recht, der Türkei "Lehren zu erteilen". Er betonte, dass "die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche". Bozdag griff zugleich Deutschland scharf an. "Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche. Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte." Erdogan hatte Deutschland am Donnerstag vorgeworfen, Terroristen Unterschlupf zu bieten, statt "rassistische Übergriffe gegen Türken" zu verhindern.

Soziale Medien in Kurdengebieten gesperrt

Yildirim begründete die Festnahmen der Abgeordneten am Freitag damit, dass diese den Vorladungen der Staatsanwaltschaft nicht Folge geleistet hätten. Die betroffenen Parlamentarier hätten die "Hoheit des Rechts" missachtet, sagte Yildirim. Es handele sich um diejenigen, die "den Terror fördern, den Terror ermutigen und den Terror logistisch unterstützen". Nach der Aufhebung ihrer Immunität hatten die HDP-Abgeordneten betont, dass sie mit der aus ihrer Sicht parteilichen Justiz nicht kooperieren würden. Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei am Freitag.

In den Kurdengebieten und in anderen Regionen sperrten die Behörden in der Nacht den Zugang zu sozialen Medien. Yilidirm sprach von einer "vorübergehenden Maßnahme", die "aus Sicherheitsgründen" angeordnet worden sei. Er sagte: "Sobald die Gefahr vorbei ist, wird alles wieder normal funktionieren." Regierungskritiker in der Türkei nutzen soziale Medien, um Informationen auszutauschen und beispielsweise Demonstrationen zu organisieren. Inzwischen sind die meisten Massenmedien auf Regierungskurs. Zahlreiche kritische Medien ließ Erdogan in den vergangenen Wochen per Notstandsdekret schließen.

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