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Krise auf der Krim

Moskaus Spiel mit der Angst

  • Veröffentlicht: 07.03.2014
  • 08:45 Uhr
  • Tim Sullivan, AP
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© AFP

Wladimir Suchenko war damals noch ein kleines Kind. Aber trotzdem kann er sich besser an den Krieg erinnern, als ihm lieb ist. Er erzählt von den Explosionen, den Nazi-Soldaten, die auf den Straßen patrouillierten, zählt die Namen von Freunden und Verwandten auf, die nicht überlebten. Er unterstreicht seine Schilderungen mit zornigen Imitationen von Maschinengewehr-Feuer: "Tat-tat-tat-tat-tat." Das Letzte, was er will, ist, dass der Krieg auf die Krim zurückkehrt.

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Was ist ihm also durch den Kopf gegangen, als in der vergangenen Woche plötzlich schwer bewaffnete russische Soldaten auf den Straßen der regionalen Hauptstadt Simferopol auftauchten, das örtliche Parlament einkreisten und ukrainische Militärbasen umzingelten? Suchenko war erleichtert. "Wenn die Russen nicht hier wären, käme die Regierung der Ukraine und würde uns besetzen", sagt der 77-jährige ehemalige Theaterschauspieler. "Sie würden uns zwingen, ukrainisch zu sprechen."

Angst auf der Krim ist tief verwurzelt

Keine Frage: Die Angst ist auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim tief verwurzelt, genährt von der Geschichte und von Propaganda. Zwar mögen manche der ethnischen Russen auf der Krim im Stillen mit der Präsenz der Soldaten nicht einverstanden sein. Aber die Mehrheit sieht in ihnen Beschützer vor einer neuen ukrainischen Regierung, die - wie sie meinen - bereit ist, die russisch-sprachigen Einwohner zu unterdrücken.

"Die Regierung in Kiew ist illegal", sagt denn auch Suchenko, der wie viele auf der Krim Wut auf die ukrainischen Demonstranten hat, die den seinerzeitigen prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch aus dem Amt jagten.

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Krim seit über 200 Jahren in russischer Hand

Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Zerfall der Sowjetunion stand die Krim fast immer unter russischer und später unter sowjetischer Kontrolle. Heute können die meisten Einwohner ihren Familienstammbaum nach Russland zurückverfolgen, und einige sehen sich selbst nur nominell als Ukrainer. Russisch ist die vorherrschende Sprache auf der Halbinsel.

So gab es kaum auch nur einen Anflug von Widerstand, als der russische Präsident Wladimir Putin nach der Vertreibung seines Verbündeten Janukowitsch vergangene Woche Soldaten auf die Krim schickte. Denn viele der Einwohner sind von den gleichen Ängsten gepackt wie Suchenko - sei es die Furcht, nicht mehr russisch sprechen zu können oder die vor Anarchie, vor rechtsgerichteten militanten Ukrainern auf den Straßen oder vor Terroristen, die ethnische Russen ins Visier nehmen.

"Russische Soldaten sorgen für Schutz auf der Krim"

Fragt man herum, findet man zwar kaum jemanden, der Opfer einer antirussischen Attacke geworden ist. Aber man findet leicht Leute, die glauben, dass es passiert. "Das Chaos in Kiew macht mir solche Angst", sagt etwa eine Lebensmittelhändlerin in der Hafenstadt Nowo-Oserne unter Tränen. "Es könnte auch hierhin kommen." Wie viele andere ethnische Russen glaubt sie, dass die jetzige ukrainische Regierung von nationalistischen militanten Kräften dominiert ist und dass Dutzende, wenn nicht gar Hunderte ukrainische Sicherheitskräfte im Zuge der Demonstrationen von ihnen getötet wurden.

Sogar einige jener Krim-Russen, die möchten, dass die Halbinsel weiter Teil der Ukraine bleibt, sind nach eigenen Angaben froh über die Präsenz der russischen Soldaten. Diese, so sagen sie, könnten für Schutz sorgen, wenn die Lage auf der Krim hässlich werde.

Journalisten, Menschenrechtler und andere Beobachter weisen darauf hin, dass ultranationalistische Kräfte in der ukrainischen Protestbewegung nur einen kleinen Prozentsatz ausmachten. Und die meisten der fast 100 Menschen, die bei Zusammenstößen ums Leben kamen, waren mit Abstand Demonstranten.

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Moskau spielt mit der Angst

Aber Moskau hat die Ängste auf der Krim sehr wohl erkannt und sie sorgfältig kultiviert, seit die Proteste in Kiew gegen Ende vergangenen Jahres begannen. So wurden etwa die Demonstranten im russischen Staatsfernsehen, das auf der Krim sehr viele anschauen, pausenlos als eine Art von Nazi-Extremisten dargestellt.

"Als Ergebnis der gewalttätigen Übernahme der Macht (in Kiew), hat das Land ein völlig neues Regime erfahren: tollkühn, zynisch und brutal", sagte etwa der Journalist und Putin-Vertraute Dmitri Kiseljow kürzlich in seiner populären Sendung "Nachrichten der Woche". Die neue Regierung setze "Militante, Fußball-Hooligans und Neonazis" ein, um ihre Herrschaft in russisch-sprachigen Regionen durchzusetzen. Putin selbst ließ Reporter vor wenigen Tagen wissen, dass auf den Straßen von Kiew jetzt Neonazis wüteten.

"EU will die Ukraine einverleiben"

Dazu werden auf einigen Kanälen alte sowjetische Wochenschau-Clips aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges wieder und wieder abgespielt. Einer zeigt beispielsweise ein Hakenkreuz, das sich über Europa ausbreitet und jedes Land auf seinem Weg verspeist. Was damit gemeint ist, liegt auf der Hand: Die neue Regierung in Kiew und die Europäische Union wollen sich die russisch-sprachige Ukraine einverleiben. Angesichts der Kriegserfahrungen stößt eine solche Propaganda auf offene Ohren.

Aber denn doch nicht bei allen. Die Russen destabilisierten die Region, und ihr Vorgehen auf der Krim könnte ernste Gewalt auslösen, sagte eine Gruppe russisch-sprachiger Einwohner in der Stadt Kertsch kürzlich einem AP-Reporter.

Derartige Opposition ist aber eher so etwas wie ein Geflüster. Allgemein wird erwartet, dass Moskau auf der Krim einen Marionettenstaat schaffen will. Da mag kaum jemand das Risiko eingehen, die Stellen in Moskau auf sich aufmerksam zu machen und zu erzürnen.

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