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"Das ist kein zweites 2008"

Ökonomen dämpfen Sorgen vor Finanzkrise

  • Veröffentlicht: 11.02.2016
  • 10:30 Uhr
  • dpa
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Der Absturz an den Aktienmärkten weckt Erinnerungen an die schwere Finanzkrise 2007/2008. Doch ist die Situation wirklich vergleichbar? Was ist ähnlich und was ist heute anders?

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Die Kurse an den Aktienmärkten rauschen nahezu ungebremst in die Tiefe. Einige Beobachter fühlen sich bereits an die Weltfinanzkrise 2008 erinnert. Begründet wird dies nicht zuletzt mit dem Einbruch der Bank-Aktien. Damals stand das globale Finanzsystem nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman vor dem Kollaps. Die Weltwirtschaft stürzte in eine tiefe Rezession.

Warum stehen Bank-Aktien derzeit unter Druck?

Der Verfall der Ölpreise bedroht die Existenz von Rohstoffunternehmen, insbesondere von US-Förderunternehmen, die auf Fracking-Technik gesetzt haben. Folge könnten Kreditausfälle sein, das könnte Löcher in Bankbilanzen reißen, so die Befürchtung. Die Finanzkrise ging von kaum abgesicherten Immobilienkrediten ("Subprime") aus, die in Päckchen gebündelt als Wertpapiere verkauft wurden. Doch Tausende US-Schuldner, die sich Hauskredite ohnehin nicht leisten konnten, gerieten mit der Zahlung ihrer Kreditraten in Verzug. Weil viele an solchen Papieren mitverdienten, kam eine weltweite Abwärtsspirale in Gang.

"Die Verbriefungstechnologie hatte damals zu einer Vernetzung der Bankbilanzen geführt, die diese herdenartig reagieren ließ", sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Heute sei die Situation auch deshalb anders, weil Kredite an Ölförderer nur rund drei Prozent aller Bankkredite in den USA ausmachten, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die "Subprime"-Hypothekenkredite hätten einen Anteil von schätzungsweise 20 Prozent gehabt. "Die mit dem Ölpreisverfall verbundenen Bankrisiken sind viel kleiner", betont Krämer.

Sind die Banken heute besser gerüstet?

Finanzinstitute haben ihre Kapitalpuffer als Krisenvorsorge deutlich verstärkt - eine Folge der schärferen Regulierung des Finanzsektors. Zwar setzen Niedrigzinsen und Regulierung die Erträge der Institute unter Druck. Aber: "Die Banken haben in den letzten Jahren erheblich ihre Bilanzen verkürzt und Kreditbestände abgebaut", bilanziert Hüther. Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater argumentiert: "Das ist kein zweites 2008, sondern es sind immer noch die Nachwehen der Finanzkrise von damals, die uns verfolgen. Zur Zeit haben wir keine Panik wegen der Gefahr des Zusammenbruchs des Weltfinanzsystems."

Welche Rolle spielen die Notenbanken?

Im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche fluten die großen Notenbanken der Welt die Märkte mit billigem Geld. Kritiker befürchten, dadurch könnten Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten entstehen. Auch nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 hatten Notenbanken die Geldschleusen weit geöffnet. Viele Hausbesitzer in den USA nutzten die niedrigen Zinsen, um sich immer höher zu verschulden und auf Pump zu konsumieren. Inzwischen seien die Schulden der Privathaushalte in den USA jedoch auf ein akzeptables Niveau gesunken, sagt Ökonom Krämer.

Könnten Notenbanken in Krisen überhaupt noch reagieren?

Kritiker befürchten, dass die Währungshüter mit Minizinsen und Wertpapierkäufen ihr Pulver weitgehend verschossen haben. Dies beziehe sich allerdings eher auf die Absichten der Notenbanken, das Wirtschaftswachstum zu stimulieren, argumentiert Kater: "Bei der Stabilisierung des Finanzsystems haben sie noch viele Möglichkeiten."

Welches Risiko besteht für die Konjunktur?

Ein Überspringen der Börsenturbulenzen auf die produzierende Wirtschaft sei derzeit unwahrscheinlich, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben: "Unter dem Strich sprechen die positiven Geschäftserwartungen gegen einen Konjunkturabsturz." Ähnlich sieht das Ökonom Hüther: Abgesehen von China fehle der realwirtschaftliche Anlass für die aktuellen Börsenturbulenzen, "die Konjunkturdaten sind bisher robust und geben wenig Anlass, zu einer solchen Korrektur".

Wieso bereitet China Sorgen?

Das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt schwächelt. Investoren fürchten, dem Megamarkt könnte die Puste ausgehen. "Das Land steht wirtschaftlich vor schweren Zeiten, auch weil seine Unternehmen sehr hoch verschuldet sind", sagt Krämer. Einen guten Teil der nachlassenden Nachfrage aus dem Land könnten die westlichen Länder aber durch ein Anziehen der Binnennachfrage ausgleichen. "Brenzlig würde es nur, wenn China den Weltfinanzmärkten wie Lehman 2008 einen Unsicherheitsschock verabreichen würde. Aber das ist unwahrscheinlich", meint Krämer. Westliche Banken und Anleger seien an dem immer noch recht abgeschotteten Finanzmarkt Chinas nur wenig engagiert.

Gibt es auch gute Nachrichten?

Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud sieht in dem starken Rückgang der Ölpreise eine Konjunkturspritze für die Industrieländer. Auch Traud hält wenig von Vergleichen mit der jüngsten Finanzkrise. Nicht jeder Bärenmarkt - anhaltend sinkende Kurse am Aktienmarkt - gehe mit einer Rezession einher "und schon gar nicht mit solchen Abstürzen der Volkswirtschaften wie in der Finanzkrise". Sie verweist auf die Jahre 1987, 1998 und 2011 als der deutsche Leitindex Dax im Durchschnitt um 37 Prozent fiel, die Wirtschaft aber nicht schrumpfte.

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