Abbruch der Beitrittsverhandlungen
Türkei wirft Deutschland Missbrauch der EU vor
- Veröffentlicht: 08.09.2017
- 20:08 Uhr
- dpa
Deutschland steht in Europa mit Forderungen nach einem Abbruch der Türkei-Verhandlungen fast alleine da. Eine regierungsnahe türkische Zeitung macht schon eine «Revolte gegen Merkel in der EU» aus. Die Regierung in Ankara wirft Berlin vor, die EU zu instrumentalisieren.
Deutschland steht nach der mit EU-Partnern nicht abgesprochenen Kehrtwende in der Türkei-Politik vor einem diplomatischen Scherbenhaufen. Am zweiten Tag eines EU-Außenministertreffens in Tallinn verfestigte sich am Freitag das Bild, dass Deutschland und Österreich mit der Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen derzeit isoliert sind. Dennoch kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin an, Kanzlerin Angela Merkel wolle beim EU-Gipfel im Oktober über einen Abbruch oder eine Suspendierung der Beitrittsgespräche beraten.
Der türkische Europaminister Ömer Celik warf der Bundesregierung vor, die EU im Streit mit seinem Land zu instrumentalisieren. Diejenigen, die jetzt einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen forderten, versuchten, «die EU zu benutzen, um bilaterale Probleme zu lösen», sagte Celik. Er warnte andere EU-Staaten, den von Deutschland und Österreich ausgehenden Forderungen zu folgen. «Das ist keine Kinderspielerei», sagte er am Rande des Treffens in Tallinn. «Eine EU, die die Beitrittsverhandlungen aussetzt oder beendet, wird zu einer Gemeinschaft, die die Verhandlungsfähigkeit verloren hat.»
«Revolte gegen Merkel in der EU»
Bereits am Donnerstag war bei dem EU-Außenministertreffen in Tallinn deutlich geworden, dass die notwendige einstimmige Mehrheit für einen Abbruch der Verhandlungen mit Ankara nicht zustande kommt. Am Freitag sagte der britische Außenminister Boris Johnson: «Wir sollten die Türkei nicht verstoßen. Sie ist für uns ein strategisch wichtiges Land.» Ähnlich äußerten sich Ungarns Außenminister Peter Szijjarto und sein irischer Kollege Simon Coveney.
Merkel hatte am Dienstag vor Streit in der EU über den Umgang mit der Türkei «vor den Augen des Präsidenten Erdogan» gewarnt. «Das würde Europas Position dramatisch schwächen.» Die regierungsnahe türkische Zeitung «Star» schrieb am Freitag auf ihrer Titelseite, der Widerstand gegen Merkels Türkei-Kurs in der EU wachse. Die Schlagzeile lautete: «Revolte gegen Merkel in der EU».
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte am Freitag erneut, dass auf Kosten der Türkei Wahlkampf in Deutschland betrieben werde. «Bringt euch das Stimmen, wenn ihr auf Erdogan und die Türkei losgeht? Wie weit wollt Ihr das noch führen?» Erdogan warnte davor, dass eine Zusammenarbeit mit der Bundesregierung künftig unmöglich werden könnte, sollte sich der Streit zuspitzen.
Truppenbesuch deutscher Abgeordneter
«Was soll künftig bei internationalen Versammlungen passieren?», fragte Erdogan bei einer Pressekonferenz in Istanbul. «Soll es etwa so werden, wie es bei Hollands Ministerpräsidenten (Mark Rutte) der Fall ist? Er kann mir jetzt nicht mehr ins Gesicht sehen. Ich beachte ihn sowieso überhaupt nicht.» Im Frühjahr war es zu einem heftigen Streit um Wahlkampf-Auftrittsverbote türkischer Regierungsmitglieder in den Niederlanden und in Deutschland gekommen.
Trotz des eskalierenden Konflikts zwischen Berlin und Ankara kam am Freitag ein Truppenbesuch deutscher Abgeordneter bei Bundeswehrsoldaten in Konya zustande, um den monatelang gestritten worden war. Allerdings war der dreistündige Besuch der Parlamentarier auf der zentralanatolischen Luftwaffenbasis nur durch Vermittlung der Nato möglich geworden. Aus Sicht der Abgeordneten bemühte sich die türkische Regierung bei der Visite um Entspannung.
«Man hat deutlich gemerkt, dass es kein Interesse gab, Probleme noch mit Problemen anzuschärfen», sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Wolfgang Hellmich (SPD), der Deutschen Presse-Agentur kurz vor dem Rückflug. Die Reise zu den deutschen Soldaten in Konya sollte schon im Juli stattfinden. Die türkische Regierung hatte den Besuch aber verhindert - unter Hinweis auf die derzeit miserablen bilateralen Beziehungen.