Bekommt Erdogan noch mehr Macht?
Türken entscheiden über Präsidialsystem
- Veröffentlicht: 16.04.2017
- 08:31 Uhr
- dpa
Die Türkei steht vor einer wegweisenden Entscheidung: Kommt das Präsidialsystem, das Staatschef Erdogan deutlich mehr Macht verleihen würde? Seit dem Morgen stimmt das Volk darüber ab.
In einem historischen Referendum entscheiden die Türken seit Sonntagmorgen über die Einführung des von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebten Präsidialsystems. Seit 08.00 Uhr (Ortszeit/07.00 MESZ) sind im ganzen Land die Wahllokale geöffnet. 55,3 Millionen Wahlberechtigte sind in der Türkei zur Teilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen, dort wurde bereits abgestimmt.
Die Wahllokale schließen im Osten um 16.00 Uhr (15.00 MESZ), im Westen eine Stunde später. Unmittelbar danach beginnt die Auszählung. Ergebnisse werden am Sonntagabend erwartet. Wann feststeht, welches Lager sich durchgesetzt hat, hängt davon ab, wie knapp das Ergebnis ausfällt. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft.
Sollte die Verfassungsreform die erforderliche Mehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmen erzielen, dürfte Erdogan wieder Chef der Regierungspartei AKP werden. Die Reform würde schrittweise bis zur ersten gemeinsamen Wahl von Parlament und Präsident umgesetzt, die für November 2019 geplant ist. Danach würde der Präsident nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten würde entfallen.
Erdogan will die Todesstrafe einführen
Erdogan hatte am letzten Wahlkampftag für den Fall seines Sieges beim Referendum die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt. "Die Entscheidung morgen wird den Weg dafür öffnen", sagte Erdogan am Samstag vor jubelnden Anhängern, die in Sprechchören die Todesstrafe forderten. Er warb zugleich um massenhafte Zustimmung zu seinem Präsidialsystem bei dem Referendum am Sonntag.
Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu warnte am letzten Wahlkampftag in Ankara: "Morgen werden wir unsere Entscheidung treffen: Wollen wir ein demokratisches parlamentarisches System, oder wollen wir ein Ein-Mann-Regime?" Er appellierte an die Wähler: "Würdet Ihr Eure Kinder in einen Bus ohne Bremsen setzen? Schützt die Demokratie, wie ihr Eure Kinder schützen würdet."
Erdogan versprach im Falle seines Sieges Sicherheit, Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. "Denkt daran, was passieren wird, wenn die Urnen - so Gott will - vor "Ja"-Stimmen platzen", sagte er bei einem von insgesamt vier Auftritten am Samstag in Istanbul. Die pro-kurdische HDP warb bei ihrer Abschlusskundgebung in Diyarbakir für ein "Nein" beim Referendum. Die Volksabstimmung findet im Ausnahmezustand statt, der noch mindestens bis Mittwoch andauert.