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EU-Gipfelchef Tusk ruft zur Geschlossenheit auf

Verhärtete Fronten im Flüchtlingsstreit bei EU-Krisengipfel

  • Veröffentlicht: 23.09.2015
  • 18:31 Uhr
  • dpa
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© dpa

Die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen bleibt in Europa höchst umstritten - und wird sogar Gerichte beschäftigen. Die Lage ist dramatisch. EU-Gipfelchef Tusk ruft zur Geschlossenheit.

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Bei einem Sondergipfel haben die EU-Staats- und Regierungschefs über den richtigen Kurs in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gestritten. Mitgliedsländer aus Mittel- und Osteuropa zeigten sich empört darüber, dass sie bei der Verteilung von Flüchtlingen in Europa am Vortag überstimmt worden waren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte am Mittwoch zum Auftakt des Abendtreffens ein größeres außenpolitisches Engagement der EU, um Ursachen der Flüchtlingsbewegungen wirksamer zu bekämpfen. Auch sie habe die dramatische Lage in den Flüchtlingslagern in der Türkei und den anderen Nachbarstaaten Syriens unterschätzt. Hunger und Elend dort müssten effektiver bekämpft werden, forderte sie.

Merkel: Mehr Hilfe für die Türkei

Merkel kündigte mehr Hilfe für den EU-Beitrittskandidaten Türkei an, um Flüchtlingen dort zu helfen. "Zwei Millionen Flüchtlinge sind eine große Herausforderung für die Türkei, und wir müssen überlegen, wie wir ihr helfen können." Laut EU-Kommission sollen die Flüchtlings-Hilfen für Ankara auf eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Auch die Gelder für das Welternährungsprogramm der UN sollen mit deutscher Hilfe steigen, so Merkel.

EU-Gipfelchef Donald Tusk rief mit eindringlichen Worten dazu auf, gegenseitige Beschuldigungen und Missverständnisse zu überwinden und an einem Strang zu ziehen. Wichtigste Aufgabe sei nun der Schutz der gemeinsamen Außengrenzen; Millionen Menschen aus Nahost könnten nach Europa strömen. Dazu sollen die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die gemeinsame Polizeibehörde Europol gestärkt werden. "Die heutige Debatte muss sich auf Fakten gründen, nicht auf Illusionen und Emotionen", sagte der Liberalkonservative aus Polen an die Adresse der "Chefs".

EU-Innenminister haben die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen beschlossen

Die EU-Innenminister hatten am Dienstag gegen den Widerstand von Ungarn, Tschechien, Rumänien und der Slowakei die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen beschlossen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schloss Änderungen aus. "Der Beschluss steht." Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte: "Das ist ein rechtlich bindender Beschluss, also müssen wir es am Ende machen."

Die Slowakei will aber gegen den EU-Beschluss klagen, wie der sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico in Bratislava ankündigte. Die EU-Kommission kann ihrerseits rechtlich gegen Mitgliedstaaten vorgehen, die sich nicht an EU-Recht halten; solche Verfahren können vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) münden. Tschechien kündigte an, den Mehrheitsbeschluss zu akzeptieren.

Verfahren wegen Verstößen gegen das gemeinsame Asylrecht

Die EU-Kommission setzte unmittelbar vor dem Spitzentreffen ein Zeichen: Sie eröffnete gegen Deutschland und 18 weitere Staaten Verfahren wegen Verstößen gegen das gemeinsame Asylrecht. Deutschland wird gerügt wegen unzureichender Umsetzung der EU-Richtlinien zu Mindestnormen bei Asylverfahren und zur Aufnahme von Asylbewerbern. Details nannte die Kommission auch auf Nachfrage nicht. Bereits in den vergangenen Monaten hatte sie 35 Verfahren wegen Verstößen gegen die Asylgesetze eingeleitet, nun kommen 40 neue hinzu.

Das deutsche Vorgehen in der Flüchtlingskrise hat nach Auffassung der Behörde bestimmte Asylregeln der EU ausgehebelt. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos sagte, das sogenannte Dublin-System müsse nun "an die aktuellen Wirklichkeiten angepasst" werden. Es schreibt vor, dass dasjenige EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem der Asylbewerber erstmals den Boden der EU betreten hat.

In der Flüchtlingskrise hatten aber mehrere Staaten diese Regelung nicht mehr beachtet. So ließ Ungarn Flüchtlinge ohne Registrierung weiterreisen. Deutschland hatte vor einigen Wochen entschieden, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien nicht mehr in ein anderes EU-Land zurückzuschicken, über das sie in die EU eingereist sind - obwohl dies nach den Dublin-Regeln möglich und vorgesehen ist. "Meines Erachtens war das eine Initiative, die auch durchaus dazu beigetragen hat, dass das System Dublin kollabiert ist", so der griechische Kommissar.

Die Kommission schlug auch vor, Gelder, die vor allem zur Flüchtlingshilfe eingesetzt werden, im Vergleich zum Jahresbeginn auf 9,2 Milliarden Euro zu verdoppeln. Davon sollen auch Nicht-EU-Länder in der Nachbarschaft Syriens profitieren, zu denen neben der Türkei auch Jordanien und Libanon gehören.

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