Atomkoffer, Enten, Weißes Haus:
Wie geht es nach der US-Wahl weiter?
- Veröffentlicht: 03.11.2020
- 11:49 Uhr
- dpa
Jeder neue US-Präsident wird das "Pflaumenbuch" lesen. Den Atomkoffer darf er natürlich auch nicht vergessen. Und ein Kabinett muss sowieso schnell gebildet werden.
Der nervenaufreibende US-Wahlkampf ist zu Ende. Falls sich der Republikaner Donald Trump bei der Präsidentenwahl eine zweite Amtszeit sichern kann, wird er die Amtsgeschäfte weiterführen. Falls sich aber der Demokrat Joe Biden durchsetzen kann, muss eine Übergabe der Macht vorbereitet werden. Der US-Präsident, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, muss vom ersten Tag einsatzbereit sein. Eine geordnete Übergabe setzt natürlich voraus, dass der Verlierer seine Wahlniederlage anerkennt. Hier ein Überblick, wie es nach der Wahl weitergeht:
Die lahmen Enten
Falls Trump die Wahl verlieren sollte, würde er als lahme Ente (Englisch: "lame duck") gelten: Er wird dann noch bis 20. Januar weiterregieren, wird weiter im Weißen Haus leben und mit seinem Regierungsflugzeug Air Force One fliegen dürfen, politisch wäre er aber ein Relikt der Vergangenheit mit begrenztem Einfluss. Auch im Kongress wird es lahme Enten geben: Mehrere Senatoren und Abgeordnete dürften bei der Kongresswahl ihr Mandat verlieren. Die Kammern könnten aber trotzdem nochmals zusammentreten und über Gesetze und andere Dinge abstimmen, obwohl manche Mitglieder dann bereits abgewählt sind.
Wann tritt die neue Garde an?
Der neue US-Kongress wird erstmals am 3. Januar zusammentreten. Die feierliche Amtseinführung des nächsten Präsidenten ("inauguration") findet am 20. Januar um 2021 12.00 Uhr (18.00 Uhr MEZ) vor dem Kapitol in Washington statt, also mehr als zwei Monate nach der Wahl. Der neue Präsident zieht noch am gleichen Tag im Weißen Haus ein.
Wieso dauert das alles so lange?
Ein Hauptgrund ist das komplizierte System der indirekten Wahl, bei dem die in den Bundesstaaten bestimmten Wahlleute den Präsidenten erst in einem zweiten Schritt wählen werden. Die Daten und Fristen rund um die US-Wahl fußen zudem zumeist auf Gesetzen, die mehr als 100 Jahre alt sind. Inzwischen könnte vieles auch schneller organisiert werden - aber niemand will am etablierten Recht rütteln.
Wie geht es nach der Wahl konkret weiter?
Sobald in den Bundesstaaten alle Stimmen ausgezählt sind, müssen die Ergebnisse zertifiziert und bis 8. Dezember nach Washington geschickt werden. Die Mitglieder des Wahlkollegiums ("electoral college"), also die 538 Wahlfrauen und Wahlmänner, geben dann am 14. Dezember ihre Stimmen ab. Das ist im Idealfall nur eine Formsache und spiegelt das Ergebnis aus den Bundesstaaten wider. Das Ergebnis der Abstimmung wird aber erst am 6. Januar bei einer gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern im US-Kongress bekanntgegeben. Dann wird amtlich sein, wer der nächste Präsident und Vizepräsident der USA sein wird.
Wann wird der Atomkoffer übergeben?
Der neue Präsident wird mit der Amtseinführung auch Herr über die Nuklearcodes. Soweit es öffentlich bekannt ist, befindet sich für den Ernstfall immer ein Soldat mit dem Atomkoffer, dem sogenannten "Nuclear Football", in der Nähe des Präsidenten. In dem Koffer befindet sich kein großer roter Knopf, auf den der Präsident im Notfall drücken würde. Darin befindet sich unter anderem eine Serie von Codes, mit denen der Präsident den Streitkräften im Ernstfall den Befehl zum Einsatz von Atomwaffen geben könnte.
Wie funktioniert das mit der Übergabe der Amtsgeschäfte?
Falls Biden die Wahl gewinnen sollte, werden er und sein Team nicht völlig unvorbereitet ins kalte Wasser springen müssen. Bereits Monate vor der Wahl leitet die US-Regierung Schritte ein, um den Übergang zum nächsten Präsidenten ("transition") vorzubereiten. Nach der Wahl kommt es dann normalerweise auch zu vielen Treffen der Mitarbeiter beider Seiten, um alles konkret zu planen. Das Ziel ist es, dass der nächste Präsident schon ab dem 20. Januar einsatzfähig ist. Biden, der acht Jahre lang unter Barack Obama Vizepräsident war, hat dabei den Vorteil, die meisten Abläufe wahrscheinlich schon zu kennen.
Bei der Übergabe spielt es auch keine Rolle, ob der Amtsinhaber sich um eine weitere Amtszeit bewirbt, denn manche Elemente der Übergabe beruhen auch auf gesetzlichen Vorschriften. Der neue Präsident bekommt unter anderem eine 1000-seitige Handreichung, das "Handbuch der Regierung". Hinzu kommt noch das gut 200 Seiten dicke Pflaumenbuch ("plum book"), in dem alle rund 9000 Top-Positionen aufgelistet sind, die der Präsident in der Regierung und nachgeordneten Behörden neu besetzen kann. Dazu gehören zum Beispiel die Stellen im Weißen Haus sowie leitende Beamte in Ministerien.
Und die Regierungsbildung - gibt es schon Namen?
Falls sich Trump eine zweite Amtszeit sichern kann, wird er sicher einige Posten neu besetzen, er kann aber auch einfach mit dem bekannten Team weiterregieren. Falls Biden gewinnen sollte, muss er sein Kabinett zusammenstellen. Dabei richtet sich viel Aufmerksamkeit meist auf die "big four", das Außen-, Verteidigungs-, Finanz- und Justizministerium. Wegen der Pandemie dürfte zudem dem Gesundheitsministerium ein großer Stellenwert zukommen. Nach Trumps harter Einwanderungspolitik dürfte auch das Heimatschutzministerium Bedeutung haben. Der Senat muss die neuen Minister dann bestätigen.
Die Zusammensetzung eines möglichen Biden-Kabinetts ist zu diesem Zeitpunkt noch spekulativ. Aber einige Namen werden dabei sehr häufig genannt. Dazu gehören unter anderem Susan Rice, die unter Obama Botschafterin bei den Vereinten Nationen und Nationale Sicherheitsberaterin war, sowie Bidens außenpolitischer Berater Antony Blinken. Auch die im Irak-Krieg verwundete Senatorin Tammy Duckworth wird häufig als Kandidatin genannt. Gleiches gilt für Elizabeth Warren - auch wenn ein prominenter Kabinettsposten für die eher linke Senatorin sicher nicht unumstritten wäre.
Was passiert, falls der Verlierer die Wahl nicht anerkennt?
In diesem Fall wird es kompliziert. Falls Biden verlieren sollte, könnte er zum Beispiel die Ergebnisse in einzelnen Bundesstaaten juristisch anfechten - zum Beispiel, wenn das Ergebnis äußerst knapp oder fragwürdig wäre. Dann müssten die Gerichte entscheiden. Ähnlich lief es 2000, als die Wahl erst gut einen Monat nach der Abstimmung und mehreren Gerichtsverfahren entschieden wurde. Der Demokrat Al Gore räumte damals letztlich seine Niederlage gegen George W. Bush ein.
Noch komplizierter würde es, falls sich Amtsinhaber Trump weigern sollte, eine Niederlage einzuräumen. Auch ihm würde der Rechtsweg offenstehen. Sollte er sich aber auch nach juristischer Niederlage noch weigern abzutreten, würde dies die vorgesehene Amtsübergabe wahrscheinlich deutlich erschweren. Und spätestens am 20. Januar könnte eine Verfassungskrise drohen: Was passiert, wenn ein neuer Präsident vereidigt wird und sich der alte im Weißen Haus einbunkert?
Trump hatte im Wahlkampf mehrfach offengelassen, ob er eine Niederlage akzeptieren würde. Es gibt in der jüngeren US-Geschichte kein Vorbild für ein solches Szenario. Sollte es dazu kommen, dürfte sich die Spaltung des Landes in gegnerische politische Lager gefährlich zuspitzen. Manche Experten warnen, dass es dann auch zu Massenprotesten und Gewalt kommen könnte.