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Obdachlosigkeit bei Kindern und Jugendlichen – spezielle Angebote helfen
- Veröffentlicht: 13.11.2022
- 20:04 Uhr
- Christina Berlinghof
Kindern und Jugendlichen muss ein sicheres Aufwachsen ermöglicht werden, das sollten Eltern oder Kinder- und Jugendhilfen garantieren. Trotzdem gibt es auch in Deutschland Minderjährige und junge Erwachsene, die sich von der Familie oder von Hilfsorganisationen abwenden und auf der Straße leben. Wie es dazu kommen kann und welche Unterstützungsangebote es für Betroffene gibt, liest du in diesem Artikel.
Auch in Deutschland leben Kinder und Jugendliche auf der Straße. Eine amtliche Statistik zur Anzahl wohnungs- und obdachloser Jugendlicher und junger Erwachsenen gibt es aber nicht. Das Deutsche Jugendinstitut erhob im Rahmen mehrerer Modellprojekte und mittels Umfragen und Hochrechnungen erstmals die Anzahl junger Menschen in Deutschland, die vermeintlich wohnungs- und obdachlos sind.
So hoch ist die Zahl wohnungs- und obdachloser junger Menschen
Nach diesen Ergebnissen sollen etwa 37.000 junge Menschen in Deutschland bis zu einem Alter von 27 Jahren keinen festen Wohnsitz haben. Dazu gehören alle, die obdachlos sind, also auf der Straße leben und schlafen, aber auch diejenigen, die bei Freunden und anderen Personen unterkommen oder in Notunterkünften schlafen.
Die größte Gruppe der jungen wohnungslosen Menschen ist zwischen 18 und 20 Jahre alt, also volljährig. Kinder unter 14 Jahren sind in Deutschland nur sehr selten von Wohnungslosigkeit betroffen, nach den Hochrechnungen sind es etwa 300 Kinder. Die Anzahl der 14- bis 17-Jährigen beträgt 16,8 %, was etwa 6.200 Jugendliche ausmacht. Etwa ein Drittel der Jugendlichen lebt ausschließlich auf der Straße.
Zudem kam das Deutsche Jugendinstitut zu dem Ergebnis, dass mehr junge Männer von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind als junge Frauen. Auffällig an den erfassten Daten ist auch, dass es deutliche Unterschiede bezüglich Alter und Geschlecht von jungen Obdachlosen gibt. Bei Minderjährigen sind mehrheitlich Mädchen wohnungs- und obdachlos. Im Alter von 20 Jahren gleichen sich die Anteile von Frauen und Männern aus, danach (also ab dem 21. Lebensjahr) nimmt die Zahl junger, obdachloser Frauen extrem ab, während die Zahl junger Männer, die wohnungs- oder obdachlos sind, deutlich steigt.
Viele junge Wohnungs- und Obdachlose versuchen, Kontakt zu Jugendhilfen zu halten. Meistens werden Beratungsangebote und Überlebenshilfe, also die Versorgung mit Getränken, Nahrungsmitteln und Schlafplätzen, in Anspruch genommen.
Was die Umfragen auch zeigten: Jugendliche fallen ab dem 18. Lebensjahr oft aus dem System der Jugendhilfe und erhalten dann keine weitere Unterstützung durch Jugendämter. Ab der Volljährigkeit sind sie also meist auf sich allein gestellt und verlieren damit auch ihre Vertrauensperson aus der Jugendhilfe. Viele junge Wohnungs- und Obdachlose haben dann nur noch Kontakt zu den Jobcentern, die aber keine Sozialarbeit leisten.
Warum leben Kinder und Jugendliche auf der Straße?
Die Gründe dafür, warum Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf der Straße leben, sind vielfältig. In den meisten Fällen sind schwierige Familienverhältnisse dafür verantwortlich, dass junge Menschen das Elternhaus oder ihre Pflegefamilie verlassen oder von ihrer Familie vor die Tür gesetzt werden und plötzlich auf der Straße stehen. Viele haben Gewalt, Missbrauch oder Verwahrlosung innerhalb der Familie erlebt. Auch Armut, Arbeitslosigkeit, Überschuldung oder ein Suchtproblem bei mindestens einem Elternteil können dazu führen, dass Kinder und Jugendliche ihr Zuhause verlieren. Die Situation ist für sie nicht mehr erträglich und ein Leben auf der Straße scheint als das kleinere Übel. Wohnungs- und Obdachlosigkeit junger Menschen kann aber auch damit begründet sein, dass Jugendliche keine Arbeit finden, finanzielle Unterstützungen durch das Jobcenter auslaufen oder sie ihre Eltern verloren haben und in eine finanzielle Notlage gekommen sind.
Die Entscheidung, das eigene Zuhause aufzugeben und auf der Straße zu leben, fällt niemanden leicht und findet in der Regel nicht von heute auf morgen sondern schleichend statt – zumindest in den Fällen, in denen Kinder und Jungendliche diese Entscheidung selbst treffen.
Der Ablauf ist oft folgendermaßen: Betroffene kommen zufällig in Kontakt mit wohnungs- und obdachlosen Menschen in ihrem Alter und verbringen dann immer mehr Zeit mit ihnen. Sie vernachlässigen die Schule oder ihre Ausbildung und bleiben ihrem Zuhause immer häufiger fern. In der Gemeinschaft auf der Straße erleben sie Zusammenhalt und Verständnis und entscheiden sich irgendwann komplett dort zu leben, um ihrem ausweglosen Alltag zu entkommen. Je nach Familiensituation und ausschlaggebenden Gründen melden die Eltern das Fernbleiben der Kinder der Polizei häufig nicht, da sie fürchten, selbst belangt zu werden, weil sie ihre Pflichten nicht erfüllt oder Straftaten begangen haben.
Ein großes Problem: Das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb einzelner Gruppen junger Menschen auf der Straße führt in den meisten Fällen dazu, dass junge Obdachlose gemeinsam Drogen konsumieren. Einzelne rutschen dadurch immer weiter in die Drogenszene. Der Druck regelmäßig die finanziellen Mittel für den Drogenkonsum aufzubringen, steigt stetig und ist meist Ursache dafür, dass diese jungen Menschen Straftaten begehen, um an Geld und schließlich an Drogen zu kommen.
Viele obdachlose Kinder und Jugendliche haben darüber hinaus psychische Gesundheitsprobleme und leiden unter seelischer Belastung. Sie erfahren Ablehnung durch die Gesellschaft und blicken meist in eine aussichtslos erscheinende Zukunft. Vor allem, wenn wichtige Voraussetzungen für ein geregeltes Leben, wie etwa ein Schulabschluss, fehlen und dadurch der Eintritt in die Arbeitswelt erschwert ist, fällt der Schritt sich vom Straßenleben loszulösen unheimlich schwer.
Wo finden jugendliche Obdachlose Unterstützung?
Um Jugendlichen und jungen Erwachsenen Sicherheit und Schutz zu bieten, stellen Städte und Gemeinden Hilfsangebote bereit. Da Betroffene in der Regel keine familiäre Unterstützung bekommen, ist vor allem die Jugendhilfe mit Streetworker:innen und Sozialarbeiter:innen wichtig. In den meisten Städten gibt es zudem Wohnungshilfen und Notschlafstellen für jugendliche Wohnungslose.
Die Initiative "Off Road Kids" ist eine bundesweite Hilfsorganisation für Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland, die von Obdachlosigkeit betroffen sind. In Berlin, Dortmund, Frankfurt, Hamburg und Köln beraten Streetworker:innen junge Menschen vor Ort. Die Organisation betreibt aber auch die Webseite sofahopper.de. Hierüber können Wohnungslose bis 27 Jahre Beratung und Hilfsangebote digital in Anspruch nehmen, wenn sie keinen festen Wohnsitz haben und als sogenannte „Sofa-Hopper" bei Freunden oder Bekannten unterkommen. Über eine Chat-Funktion auf der Webseite können sie direkt Kontakt aufnehmen und haben die Möglichkeit, sich zu allen Arten von Problemen Tipps zu holen.
Spezielle Hilfe für obdachlose Kinder und Jugendliche in Hamburg
- Für wohnungs- und obdachlose junge Frauen, Männer und LSBTIQ-Personen im Alter von 18-25 Jahren gibt es in Hamburg Unterkünfte zur temporären Unterbringung. Eine intensive sozialpädagogische Betreuung mit dem Ziel, eigenen Wohnraum und eine Ausbildungsstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden.
Adressen und Kontaktmöglichkeit: Jungerwachsenen-Programm Hamburg
- Das Projekt KIDS ist eine Anlaufstelle für Straßenkinder in Hamburg-St. Georg. Es unterstützt Mädchen und Jungen bis 18 Jahren in Krisensituationen und bei Obdachlosigkeit.
Kontakt über: Anlaufstelle KIDS – basis & woge e.V.
- Die Jugendberatung der Caritas stellt wohnungssuchenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 12 bis 25 Jahren bei Interesse Mietpat:innen zur Seite, die sie unter anderem bei der Wohnungssuche unterstützen und zu Behördenangelegenheiten begleiten.
Infos: Caritas Hamburg
Spezielle Hilfe für obdachlose Kinder und Jugendliche in München
- Der gemeinnützige Verein Horizont bietet Müttern und Kindern ohne festen Wohnsitz sicheren Wohnraum sowie Betreuung und Beratung.
Mehr Infos: Horizont München
Spezielle Hilfe für obdachlose Kinder und Jugendliche in Berlin
- In einem gemeinsamen Projekt setzen sich Save the Children e. V. und die Karuna Sozialgenossenschaft für obdachlose Kinder und Jugendliche in Berlin ein. Viele Mitarbeitende und Mitglieder von Karuna haben selbst einmal auf der Straße gelebt. Die Erfahrung mit den Bedürfnissen Betroffener hilft ihnen dabei, Kinder und Jugendliche emotional und nachhaltig zu unterstützen. Das Projekt leistet Soforthilfe, bietet psychosoziale Betreuung an und vermittelt Schlafplätze.
Infos: Karuna und Save the Children
- Der Straßenkinder e. V. fördert und unterstützt sozial benachteiligte oder auch geflüchtete Kinder mit seiner Arbeit präventiv und versucht zu verhindern, dass junge Menschen auf der Straße landen. Sie erhalten warme Mahlzeiten und können an Freizeit- und Bildungsangeboten teilnehmen. Kinder und Jugendliche, die schon auf der Straße leben, versucht der Verein dort wegzuholen und steht ihnen auf ihrem Weg zu einem geregelten Leben zur Seite.
Kontaktmöglichkeit: Straßenkinder e. V.
Spezielle Hilfe für obdachlose Kinder und Jugendliche in Freiburg
- Die Mitarbeitenden der Tagesanlaufstelle der Freiburger StraßenSchule, eine Einrichtung des SOS-Kinderdorf Schwarzwald mit dem Freiburger StraßenSchule e.V., helfen jungen Obdachlosen in ihrer Wohnungsnot und dienen ihnen als eine Art Ersatzfamilie. Hier können sie sich austauschen, Kontakt zu anderen jungen Obdachlosen aufnehmen, sich aufwärmen und eine warme Mahlzeit essen.
Mehr dazu: Freiburger StraßenSchule
Spezielle Hilfe für obdachlose Kinder und Jugendliche in Mannheim
- Bereits 1997 wurde Freezone gegründet. In Mannheim bietet die Organisation Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 25 Jahren, die ganz oder teilweise auf der Straße leben, mit dem Freezone-Haus eine Anlaufstelle. Während der Öffnungszeiten können die Kinder und Jugendlichen duschen, sie bekommen etwas zu essen oder haben einfach die Chance, sich im geschützten Raum, den das Haus bietet, zurückzuziehen. Das klappt ganz ohne Aufnahme von Personalien und anderen bürokratischen Hindernissen, was die Hemmungen, sich den Freezone-Mitarbeiter:innen anzuvertrauen und die Angebote der Organisation anzunehmen, verringert. Neben der Streetwork-Arbeit kümmert sich Freezone auch um Schulbildung, hilft feste Bleiben zu finden (im Haus selbst gibt es auch sechs Kurzzeit-Schlafplätze) und bietet Kleidung und warme Mahlzeiten an.
Mehr dazu: Freezone