Abstimmung im Bundestag
Historische Entscheidung zur "Ehe für alle" möglich
- Veröffentlicht: 30.06.2017
- 07:12 Uhr
- dpa
Wenn die Öffnung der Ehe für Homosexuelle im Bundestag zur Abstimmung steht, sollen die Abgeordneten nur ihrem Gewissen folgen. Doch dazu muss es erst einmal kommen. Und auch bei einem "Ja" zur Reform wäre der Streit wohl noch nicht beendet.
Der Bundestag befasst sich am Freitag mit der Öffnung der Ehe für Homosexuelle und fällt möglicherweise einen historischen Beschluss. Voraussetzung für eine Abstimmung über die jahrelang von der Union blockierte Reform ist, dass der Punkt auf die Tagesordnung der letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause gesetzt wird. SPD, Linke und Grüne wollen dies mit ihrer knappen Mehrheit durchsetzen. CDU und CSU sehen darin einen Vertrauensbruch des sozialdemokratischen Koalitionspartners.
Wird der Antrag angenommen, ist es wahrscheinlich, dass gleichgeschlechtliche Paare künftig genauso heiraten und Kinder adoptieren dürfen wie ein Paar aus Mann und Frau. Denn an einer Mehrheit dafür im Bundestag wird kaum gezweifelt, zumal auch Unionsabgeordnete der «Ehe für alle» zustimmen wollen.
Eine Gewissensentscheidung
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montagabend überraschend erklärt, sie plädiere für eine Gewissensentscheidung zu dem Thema. Das bedeutet, dass die Fraktionsdisziplin aufgehoben wird und Abgeordnete ohne Vorankündigung von der Parteilinie abweichen können.
Das Nein zur Ehe für Homosexuelle gilt als letzte konservative Bastion der Union. Unter Merkel als Parteivorsitzender hat die CDU schon mehrere Positionen geräumt, für die es in der Gesellschaft keine Mehrheit mehr gab wie das Festhalten an der Atomenergie und der Wehrpflicht.
Bislang dürfen Homosexuelle eine Lebenspartnerschaft amtlich eintragen lassen, aber nicht heiraten. Der wichtigste Unterschied ist, dass Lebenspartner gemeinsam keine Kinder adoptieren dürfen.
Über das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare könne man «viel, viel eher reden, als über die Gleichstellung der Ehe», sagte CSU-Chef Horst Seehofer der in Regensburg erscheinenden «Mittelbayerischen Zeitung» (Freitag). «Ich hatte ursprünglich mal Probleme mit der Tatsache. Aber nachdem ja in die Lebenspartnerschaft eingebrachte Kinder auch in dieser gleichgeschlechtlichen Partnerschaft verbleiben dürfen, gibt es eigentlich keinen durchschlagenden Grund dagegen.»
Änderung des Grundgesetzes nötig?
Sollte eine Mehrheit im Plenum für die Reform stimmen, wäre der Streit damit aber noch nicht vom Tisch: Unions-Abgeordnete prüfen schon eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die «Ehe für alle» sei grundgesetzwidrig und bedürfe einer Verfassungsänderung, sagte der Justiziar der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, der «Passauer Neuen Presse» (Freitag). «Das Bundesverfassungsgericht knüpft die Ehe an zwei Bedingungen», sagte der CSU-Politiker: «Sie ist eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft. Und sie ist darauf ausgerichtet, Kinder hervorzubringen. Das geht nur mit Mann und Frau.»
Justizminister Heiko Maas hält eine Grundgesetzänderung hingegen für unnötig. «Wir sehen einen Wandel des traditionellen Eheverständnisses, der angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers die Einführung der Ehe für alle verfassungsrechtlich zulässt», sagte der SPD-Politiker der «Bild»-Zeitung (Freitag). «Die Zeit ist längst mehr als reif für diesen Fortschritt.»
Die FDP sieht das zwar auch so, kritisiert aber das Verfahren zur Abstimmung im Bundestag. Durch die Eile werde einem in der Sache richtigen Anliegen «ein stückweit die Würde genommen», sagte Parteichef Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Es sei richtig, dass die Union «das Rückzugsgefecht jetzt beendet». Das Vorgehen wirke aber wie eine Überrumpelungstaktik.
Die Linke sieht das angestrebte Bundestags-Votum als gesellschaftlichen Meilenstein. «Das wird ein großer Erfolg für alle, die sich jahrelang für dieses Ziel eingesetzt haben», sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch der dpa. «Die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Land wird hinter dieser Entscheidung stehen.»
Sollte die Reform durchkommen, rechnet der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Kretschmer (CDU) mit bundesweiten Turbulenzen auf den Standesämtern. Es fehlten «jegliche Ausführungsgesetze und Verordnungen», sagte er in der ZDF-Sendung «maybrit illner». «Das wird in den Kommunen ein riesiges Chaos anrichten», meinte Kretschmer, der ein erklärter Gegner der «Ehe für alle» ist. «Niemand weiß, wie er dieses Gesetz administrieren soll.»
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält das für Panikmache und erwartet keinen Run auf die Standesämter. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte der «Passauer Neuen Presse»: «Es ist eine Fehleinschätzung, dass die mögliche Änderung des Status für gleichgeschlechtliche Paare zu einer Heiratsflut und einer Überforderung der Kommunen führen wird.»