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Umstrittene Pipelines

Nord Stream - reine Ökonomie oder geopolitischer Konflikt?

  • Aktualisiert: 19.03.2024
  • 09:39 Uhr
  • Franziska Hursach
Die Nord Stream 1 in Lubmin bei Greifswald.
Die Nord Stream 1 in Lubmin bei Greifswald.© REUTERS

Die Ostsee-Pipelines Nord Stream, die von 2010 bis 2022 Gas von Russland nach Deutschland beförderten, sorgen seit Jahren für geopolitische Diskussionen – heute im Hinblick auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Anschläge im September 2022 mehr denn je. Wer steckt hinter Nord Stream und was sind die Interessenkonflikte hinter der Energiepartnerschaft? Ein Überblick.

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Nord Stream ist eine Bezeichnung für vier Erdgas-Pipelines in der Ostsee. Sie laufen von Russland nach Deutschland und transportieren Erdgas. Dabei unterscheidet man zwischen Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Beide Pipelines haben jeweils zwei Stränge.

Hinter Nord Stream 1 steht die Nord Stream AG. Die Firma sitzt in der Schweiz und schließt sich aus fünf Energieunternehmen zusammen, darunter unter anderem aus dem russischen Unternehmen Gazprom international projects North 1 LLC und den deutschen Energiefirmen Wintershall Dea AG und PEGI/E.ON. Die Firmen kamen 2005 zusammen, um Nord Stream 1 umzusetzen. Das Ziel des Projekts: Die Versorgungssicherheit in Europa zu gewährleisten und zu verbessern.

Im Video: Nord-Stream-Anschlag - Neue Spur führt in ukrainische Militärkreise

Die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 wurde im Jahr 2015 von der Nord Stream 2 AG ins Leben gerufen. Bei dem Unternehmen handelt es sich um eine reine Tochtergesellschaft des russischen Gaskonzerns Gazprom.

Heute sind keine der Pipelines, also weder Nord Stream 1 noch Nord Stream 2, aktiv. Während Nord Stream 1 bei einem Anschlag im September 2022 beschädigt wurde, kam es bei Nord Stream 2 zu einer Aussetzung des Genehmigungsverfahrens, bevor die Pipeline überhaupt in Betrieb genommen werden konnte. Der Grund: der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.

Planung, Bau & Herausforderungen: Alles über Nord Stream

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die bis zum Jahr 2022 russisches Erdgas nach Deutschland transportierte, wurde 2011 offiziell in Betrieb genommen. Ganze 1.224 Kilometer lang ist die Strecke zwischen dem russischen Wyborg und dem deutschen Lubmin bei Greifswald, die das Gas dafür in den Rohren zurücklegt.

Die Entscheidung, Russland und Deutschland mit einer Gaspipeline zu verbinden, wurde bereits 2005 getroffen. Am 8. September 2005 trafen sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin, um über eine "Energiepartnerschaft" zu verhandeln. Schröder betonte damals, dass eine Gaspipeline wie Nord Stream die Energieversorgung in Europa sicherer mache und die strategische Partnerschaft mit Russland vertiefe. Für Russland selbst wäre der Deal vor allem praktisch, da so sonstige Abgaben wegfallen würden, die bei einem Transport des Gases durch Polen, die baltischen Staaten oder die Ukraine sonst fällig wären.

Das Ergebnis des Treffens zwischen Schröder und Putin war eine unterschriebene Erklärung über den Bau einer Gaspipeline, die von Russland durch die Ostsee hindurch nach Deutschland führen sollte. Die Vereinbarung fand zwischen den Unternehmen Gazprom, Wintershall und E.ON Ruhrgas statt. Kurz danach wurde die Nord Stream AG mit Sitz in der Schweiz gegründet. Aufsichtsratsvorsitzender wurde unter anderem der Altkanzler Gerhard Schröder.

Das erste Rohr für den ersten von zwei Strängen der Pipeline Nord Stream 1 wurde allerdings erst im April 2010 gelegt. Der Bau gestaltete sich technisch anspruchsvoll und komplex. Jeder der zwei Stränge setzt sich schließlich aus jeweils 100.000 Einzelrohren mit einer Länge von jeweils zwölf Metern und einem Gewicht von etwa zwölf Tonnen zusammen. Mitte November 2010 war der erste Strang fertig und wurde in Betrieb genommen. Am zweiten und parallel verlaufenden Strang wurde bis April 2012 gearbeitet. Im Oktober 2012 begann auch dieser, seinen Betrieb aufzunehmen. Insgesamt kostete der Bau und die Inbetriebnahme von Nord Stream 1 rund 7,4 Milliarden Euro.

Durch die Untersee-Pipeline pumpten jährlich mindestens 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Mitteleuropa. Im Jahr 2018 waren es sogar 58,8 Milliarden Kubikmeter Gas, im Jahr 2019 58,5 und 2020 und 2021 je 59,2 Milliarden Kubikmeter.

Nachdem der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 begonnen hatte, wurden zahlreiche Sanktionen gegen Russland erlassen. Diese beschlossen unter anderem, die Menge des russischen Erdgases, das über die Pipeline nach Deutschland gelangen sollte, zu verringern. Seit Juli 2022 kam es dann vermehrt zu Wartungsarbeiten, weiter gedrosselten Gas-Lieferungen oder einem vollständigen Lieferstopp seitens Russlands, bevor der Doppelstrang von Nord Stream 1 bei dem Anschlag im September 2022 beschädigt wurde. Dabei beläuft sich der Schaden an einer der Röhren auf eine Länge von rund 250 Metern.

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Nord Stream 2: Abhängigkeit von Russland

Zu den Ostseepipelines Nord Stream 1 sollten noch zwei weitere Stränge hinzukommen. Das Nachfolgeprojekt wurde Nord Stream 2 genannt. Der Vertrag hierzu wurde im September 2015 unterschrieben. Anders als bei Nord Stream 1, an dem mehrere internationale Energieunternehmen beteiligt sind, ist bei Nord Stream 2 lediglich der russische Energiekonzern Gazprom offizieller Anteilseigner des Projektes. Die Finanzierung wurde dennoch von mehreren Energiekonzernen wie OMV aus Österreich, Royal Dutch Shell aus Großbritannien und auch den deutschen Firmen Wintershall Dea und Uniper unterstützt.

Der Bau begann im Jahr 2018. Mit einer Länge von rund 1.230 Kilometern ist die Leitung zwischen Wyborg und Lubmin ungefähr gleich lang wie Nord Stream 1. Auch die jährliche Kapazität von rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas und ihre Zusammensetzung aus zwei Strängen mit jeweils 100.000 Einzelrohren ist gleich. Ähnlich wie Nord Stream 1 ist das zweite Projekt milliardenschwer. Es soll sogar mehr als zehn Milliarden Euro gekostet haben, wie es laut der "Tagesschau" heißt. Ursprünglich sollte Nord Stream 2 bis 2019 in Betrieb genommen werden.

Das Fertigstellen von Nord Stream 2 verzögerte sich jedoch unter anderem aufgrund von Sanktionsdrohungen der USA. Die Vereinigten Staaten drohten 2019 mit Sanktionen gegen Unternehmen, die an dem Projekt beteiligt waren. Somit wurden die Bauarbeiten zeitweise stillgelegt, bevor Nord Stream 2 fertiggestellt werden konnte. Ein Grund für die Sanktionsdrohungen ist, dass sich Deutschland durch das Energieabkommen den Amerikanern zufolge zu abhängig von Russland macht. Mit Sicherheit spielte in die Entscheidung auch hinein, dass die USA selbst ein Interesse daran haben, Erdgas zu verkaufen. Die Sanktionen wurden später von Donald Trumps Nachfolger und heutigen US-Präsidenten Joe Biden wieder aufgehoben. Ähnlich wie bei Nord Stream 1 äußerten vor allem auch osteuropäische Länder ihren Unmut über den Bau der Ostseepipelines, da ihnen somit bisherige Transit-Einnahmen wegbrechen würden.

Trotz des politischen Streits um die Leitungen wurde der Bau von Nord Stream 2 im September 2021 abgeschlossen, nachdem im Juli 2021 bereits der erste Strang fertig geworden war. In Betrieb genommen wurde Nord Stream 2 zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Im Februar 2022 wurde die Unterwasserpipeline komplett auf Eis gelegt. Dieser Schritt wurde von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorangetrieben, nachdem Putin die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt hatte. Er bezeichnete dies als Bruch des Völkerrechts. Kurz darauf, am 24. Februar 2022, startete Russland seinen Angriff auf die Ukraine.

Auch Nord Stream 2 kam bei dem Anschlag im September 2022 nicht unbeschadet davon. Mindestens ein Strang der Doppelröhre hat durch den mutmaßlichen Sabotageakt Schaden davongetragen.

Kritik an Nord Stream

Sowohl Nord Stream 1 als auch Nord Stream 2 sind höchst umstritten. Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete Nord Stream 2 zwar lange als ein "rein ökonomisches" Projekt, jedoch sorgten beide Pipeline-Projekte, vor allem aber der Bau von Nord Stream 2, für politische Diskussionen.

Deutschland erhoffte sich bereits mit dem Bau von Nord Stream 1 mit Russland eine stabile "Energiepartnerschaft". Eine sichere Energieversorgung sei nur von Vorteil, da Deutschland selbst kaum Erdgasvorkommen hat – lediglich rund fünf Prozent des Verbrauchs könnte Deutschland selbst decken. Doch es kommt reichlich Kritik von allen Seiten, vor allem von den baltischen Staaten und Polen. So verlieren diese nicht nur reichlich Abgabegelder, die bei einem Transport durch Transitländer fallen würden, sie befürchten auch, dass sich die Europäische Union mit Nord Stream in eine große wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland begibt. Damit könnte Moskau seine Machtposition im Ostseeraum weiter ausbauen.

Auch von Umweltverbänden kam bereits zahlreiche Kritik gegen den Bau von Nord Stream. So klagten beispielsweise die Organisationen WWF und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen den Bau von Nord Stream 2. Ihre Befürchtung: Eine größere Beeinträchtigung der Ostsee als angenommen. Aufgrund der Einsprüche wurde der Bau von Nord Stream 2 sogar einige Zeit gestoppt. Doch das Pipeline-Unternehmen und die Umweltschutzorganisationen konnten sich außergerichtlich einigen. Gemeinsam wurde beschlossen, dass die Gasleitung umweltverträglicher gebaut werden solle.

Dennoch folgte immer wieder Kritik an Nord Stream und ihrem Einfluss auf die Umwelt von verschiedenen Seiten, vor allem auch nach den Anschlägen auf die Pipelines im September 2022, als es zu Gaslecks in den Leitungen kam. Grundsätzlich findet die Deutsche Umwelthilfe, dass Nord Stream 2 aus klimapolitischer Sicht nicht hätte gebaut werden dürfen. So stehe die Pipeline mit jährlich 100 Millionen Tonnen CO₂ im Widerspruch zu den Klimazielen und sei ein "Relikt aus einer fossilen Vergangenheit".

Scharfe Kritik an Nord Stream 2 äußerten in der Vergangenheit wiederholt die USA. Die Sanktionsdrohungen vonseiten der USA im Jahr 2019 gegen Unternehmen und Einzelpersonen, die am Bau beteiligt sind, sorgten für einen fast einjährigen Baustopp. Die Regierung in Washington kritisierte sowohl Russlands Annexion der Krim als auch die Abhängigkeit Deutschlands von Russland, die durch das Projekt entstehen würde. Im Hinblick auf die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland einigten sich Deutschland und die USA später darauf, Sanktionen gegen Russland zu ergreifen, falls es die Gaspipeline nutzen sollte, um der Ukraine oder anderen osteuropäischen Ländern zu schaden.

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September 2022: Die Anschläge auf Nord Stream

Am 26. September 2022 führten Sprengungen in der Ostsee zu mehreren Lecks in den Nord-Stream-Pipelines. Beide Stränge von Nord Stream 1 und einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 wurden dabei beschädigt. Zwar waren diese zu dem Zeitpunkt nicht in Betrieb, enthielten jedoch Gas.

Es wird von einem Sabotageakt ausgegangen, jedoch ist noch immer unklar, wer für den Anschlag verantwortlich ist. Es wurden Sprengstoffreste gefunden, die Ermittlungen sind aber bis heute nicht abgeschlossen. Die Explosionen in der Ostsee haben zu reichlich Spekulationen darüber geführt, wer für die Tat verantwortlich sein könnte.

So glaubt zum Beispiel der berühmte Investigativ-Journalist Seymour Hersh, dass die USA und Norwegen hinter den Anschlägen stecken, möglicherweise um Russland damit zu schaden.

Das Leck an der Nord Stream 2.
Das Leck an der Nord Stream 2.© via REUTERS

Reporter der "New York Times" dagegen vermuteten Russland selbst hinter dem Anschlag, legten aber keine Beweise vor. Ein Motiv wäre, dass Russland Deutschland damit stabilisieren und schaden würde und der Druck auf die Bundesregierung, sich aus dem Krieg herauszuhalten, so vermutlich wachsen würde.

Später berichtete die Zeitung unter Berufung auf den US-Geheimdienst, dass wohl eine proukrainische Gruppe hinter der Sabotage stecken könnte. Der russische Präsident Wladimir Putin hält das für "totalen Unsinn". So fehlt der Ukraine sowohl die Ausrüstung als auch das Know-How für ein solches Vorhaben. Die russische Regierung glaubt hingegen, dass Großbritannien die Schäden an den Pipelines verursacht hat.

Noch ist nicht klar, wer den Anschlag verübt hat, jedoch soll es deutschen Ermittler:innen gelungen sein, einen Teil des Angriffes zu rekonstruieren. Recherchen der ARD und der "Zeit" ergaben, dass am 6. September 2022 in Rostock eine Yacht gemietet wurde. Dabei soll es sich um das Schiff handeln, das mutmaßliche Täter:innen verwendet haben, um an die Angriffsstelle zu gelangen. Es soll sich um ein Team von sechs Personen handeln.

Es gibt jedoch noch weiteren Klärungsbedarf, wie auch Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär, betonte: "Was wir wissen, ist, dass es einen Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines gab. Aber wir haben nicht feststellen können, wer dahintersteckt".

Schweden stellt Ermittlungen ein

Die schwedische Staatsanwaltschaft stellte am 7. Februar 2024 ihre Ermittlungen ein. Der mit den Untersuchungen beauftragte Staatsanwalt Mats Ljungqvist teilte mit, dass man zu dem Schluss gekommen sei, dass es keine schwedische Zuständigkeit in diesem Fall gebe. Ljungqvist erklärte, dass bei den umfangreichen Ermittlungen nichts gefunden wurde, was darauf hindeutet, dass Schweden oder schwedische Staatsbürger:innen an dem Angriff in internationalen Gewässern beteiligt gewesen seien. Daher werde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Die deutschen Ermittlungen werden in dem Fall aber fortgesetzt, betonte Ljungqvist. Die Bundesanwaltschaft bestätigte, dass die Untersuchungen von deutscher Seite aus fortlaufend seien. Eine Sprecherin in Karlsruhe erklärte, dass derzeit keine weiteren Auskünfte erteilt würden.

Es bleibt unklar, wer die mutmaßlichen Täter:innen sind und welche Motive sie für die Sabotage hatten. Auch die Frage, ob es sich um einen staatlich geförderten Anschlag handelte, bleibt weiterhin unbeantwortet. Es wird weiter abgewartet, ob die deutschen Ermittlungen zu neuen Erkenntnissen führen und ob die Verantwortlichen für die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines zur Rechenschaft gezogen werden können.

Im Video: Schwedische Ermittlungen eingestellt - Löst Deutschland das Nord-Stream-Rätsel?

  • Verwendete Quellen:
  • Tagesschau: "Nord Stream - Chronik eines Politikums"
  • Deutsche Welle: "Die Geschichte des Nord-Stream-Projekts"
  • NDR: "Nord Stream 1 und 2: Das Tauziehen ums Gas aus Russland"
  • ZDF: "Wer steckt hinter dem Pipeline-Angriff?"
  • Berliner Zeitung: "New York Times spekuliert über Nord-Stream-Attentat: Ist Russland der Saboteur?"
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