Demos in mehreren Städten
Proteste in der Ukraine gegen Korruptionsgesetz - Kiew und Moskau verhandeln
- Aktualisiert: 23.07.2025
- 12:16 Uhr
- dpa
Mitten im russischen Angriffskrieg demonstrieren Ukrainer gegen ein neues Gesetz, welches die Unabhängigkeit von Organen zur Korruptionsbekämpfung beschränkt. Unterdessen nehmen die Ukraine und Russland wieder Gespräche auf.
Knapp dreieinhalb Jahre nach der russischen Invasion in die Ukraine wollen Vertreter:innen beider Länder heute in Istanbul ihre zuletzt stockenden direkten Gespräche fortsetzen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Erwartungen an die neue Verhandlungsrunde allerdings bereits gedämpft. Seinen Angaben nach wird es auch diesmal nicht um eine Waffenruhe gehen, sondern unter anderem um einen Gefangenenaustausch. Derweil gingen in der Ukraine am Dienstagabend (22. Juli) Hunderte Menschen auf die Straße, die um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler im Land fürchten.
Am Dienstagabend hatte Selenskyj ein Gesetz unterzeichnet, das Befugnisse der beiden Antikorruptionsbehörden NABU und SAP beschneidet - und ihnen nach Einschätzung der Opposition Unabhängigkeit nimmt. Der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, warnte, das zuvor vom Parlament verabschiedete Gesetz gefährde den angestrebten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.
Ein Sprecher der EU-Kommission zeigte sich besorgt über die Entwicklungen. Am Abend demonstrierten Medien zufolge Tausende Menschen in Kiew, Lwiw (Lemberg), Odessa und Dnipro. Laut der Nichtregierungsorganisation Transparency International zählt die Ukraine zu einem der korruptesten Länder Europas.
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Selenskyj will Gefangenenaustausch vorantreiben
Zu den Gesprächen in Istanbul sagte Selenskyj, vorrangig für Kiew sei die Ausweitung des Gefangenenaustausches und die Rückholung von Kindern, die Russland aus den besetzten Gebieten verschleppt habe. Außerdem solle das Treffen der Vorbereitung eines Gipfels zwischen ihm und Kremlchef Wladimir Putin dienen. Nur auf Ebene der Staatschefs könne eine Waffenruhe ausgehandelt werden. Der Kreml hatte ein solches Treffen nicht ausgeschlossen, fordert allerdings vorab eine Einigung auf einen Friedensplan.
In seiner Videobotschaft, die er erst in der Nacht auf der Plattform X veröffentlichte, sagte Selenskyj: "Die Aufgabe ist es, auf einen Waffenstillstand hinzuarbeiten. Das ist es, worauf die ganze Welt Russland drängt. Ein Treffen auf Ebene der Staatschefs würde auch einen Frieden näherbringen."
Die russische Delegation wird erneut von Präsidentenberater und Ex-Kulturminister Wladimir Medinski angeführt. Chefunterhändler auf ukrainischer Seite bleibt auch nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Selenskyj hatte ihn zum Sekretär des nationalen Sicherheitsrats ernannt und mit der Aufstellung der neuen Delegation beauftragt.
Bisher Gefangenenaustausche und Rückgaben toter Soldaten
Es ist bereits die dritte Runde direkter Gespräche zwischen den Kriegsparteien seit Mai. Zuvor hatte es seit 2022 keine Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew gegeben. Bei den bisherigen Treffen im Mai und Juni haben die Unterhändler:innen einen großen Austausch von Kriegsgefangenen vereinbart. Freigekommen sind dabei zuletzt junge Soldaten im Alter unter 25 Jahren und schwer verwundete Kämpfer.
Daneben einigten sich Moskau und Kiew auf die Rücküberstellung Gefallener. Russland hat eigenen Angaben nach in dem Zusammenhang bislang 7.000 tote ukrainische Soldaten an Kiew übergeben - und selbst auch einige Leichen erhalten. Über die Zahl der ausgetauschten Gefangenen gibt es keine Angaben.
Für einen Frieden ist Russland bislang von seinen Maximalforderungen nicht abgerückt, dazu zählen der Verzicht der Ukraine auf den NATO-Beitritt und der vollständige Rückzug Kiewer Truppen aus den von Moskau annektierten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Bereits 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Das Land führt seit mehr als drei Jahren einen zerstörerischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Moskau knüpft Waffenstillstand an Bedingungen
Der Kreml erwartet nach eigener Darstellung von dem Treffen der Delegationen in Istanbul eine Annäherung der bislang gegensätzlichen Positionen Moskaus und Kiews zu den Bedingungen für eine Waffenruhe. Dazu sei aber "große diplomatische Arbeit" nötig, sagte Peskow. Auf einen "Durchbruch aus der Reihe Wunder" rechne er nicht.
Eine bedingungslose Waffenruhe, wie von US-Präsident Donald Trump bereits im März vorgeschlagen, hat Putin - im Gegensatz zu Selenskyj - abgelehnt. Er begründete dies mit Sorgen über eine Wiederaufrüstung und Neuaufstellung der ukrainischen Truppen. Stattdessen plant Russland, seinen Vormarsch fortzusetzen, bis es eine endgültige Friedenslösung gibt.
Die russische Führung beharrt darauf, dass die Positionspapiere über mögliche Wege zu einem Frieden, die sich die Kriegsparteien übergeben hatten, bei der dritten Verhandlungsrunde besprochen werden sollten. Die Vorstellungen auf beiden Seiten liegen weit auseinander.
Proteste in Kiew und anderen Städten gegen Gesetz
Derweil warnte in der Ukraine der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Krywonos, vor dem Verlust der Unabhängigkeit von Organen zur Korruptionsbekämpfung. "Wir sind kategorisch dagegen", sagte er örtlichen Medien zufolge in Kiew mit Blick auf die Verabschiedung des neuen Gesetzes.
Kritiker:innen werfen Selenskyj seit längerem zunehmend autoritäre Tendenzen vor. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte in Brüssel, die EU sei besorgt über die jüngsten Maßnahmen der Ukraine. NABU und SAP seien für die Reformagenda der Ukraine von entscheidender Bedeutung und müssten unabhängig arbeiten, um die Korruption zu bekämpfen.
Selenskyj sagte in seiner Videobotschaft, "die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung wird funktionieren. Nur ohne russischen Einfluss, davon muss sie befreit werden". Seit Jahren lebten Beamte, die aus der Ukraine geflohen seien, aus irgendwelchen Gründen im Ausland - "in sehr schönen Ländern und ohne rechtliche Konsequenzen - und das ist nicht normal".
Nach dem prowestlichen Umsturz von 2014 ist in der Ukraine vor allem mit Hilfe von der EU und den USA ein System von Behörden zur Korruptionsbekämpfung geschaffen worden. Dieses sollte dabei helfen, die notorische Bestechlichkeit in Verwaltung und Politik zu bekämpfen.
Ukraine meldet Verlust von französischem Kampfjet
Derweil meldete die Ukraine den Verlust eines ihrer französischen Mirage-Kampfjets wegen eines technischen Defekts - und damit einen weiteren Rückschlag bei ihrer Luftverteidigung. Die "sehr effektive Maschine" sei aber nicht von Russland abgeschossen worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am frühen Mittwochmorgen (23. Juli) in seiner Videobotschaft - ohne weitere Details zum Absturz mitzuteilen. Der Pilot habe es geschafft, sich selbst zu retten.
Die Kampfjets sollen es der Ukraine ermöglichen, ihren Boden und ihren Luftraum zu schützen. Die Luftwaffe teilte mit, die Maschine sei am Dienstagabend wegen eines Fehlers "des Luftverkehrs-Equipments" abgestürzt. Es habe keine Verletzten oder Tote geben.
Im Februar hatte die Ukraine die ersten Mirage-Kampfjets von Frankreich erhalten. Sie sollen von ukrainischen Piloten geflogen werden, die in Frankreich ausgebildet wurden. Französische Medien berichteten, dass Frankreich 6 von 26 Mirage 2000-5, über die die Luftwaffe verfüge, abgeben wolle.