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Drei Jahre Kanzlerschaft

Smalltalk mit Olaf Scholz: :newstime-Chefreporterin zum Abschied des Kanzlers

  • Veröffentlicht: 05.05.2025
  • 11:05 Uhr
  • Charlotte Potts
Kanzler Olaf Scholz (links) im Gespräch mit Heiko Paluschka und Charlotte Potts von :newstime.
Kanzler Olaf Scholz (links) im Gespräch mit Heiko Paluschka und Charlotte Potts von :newstime.:newstime

Sperrig, aber mit einer Prise Humor: :newstime-Chefreporterin Charlotte Potts schildert ihre ganz persönlichen Erlebnisse mit Olaf Scholz. Wie sie den Kanzler erlebt hat - im Bundestag, im Kanzleramt, im Regierungsflieger.

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Inhalt

Von den Brücken rufen Menschen "Olaf, Olaf", als sie ihn an Deck entdecken, umgeben von unseren Kameras.

Nach den ersten zehn Minuten Interview auf dem Solar-Schiff stellen unsere Techniker:innen ein Problem mit unseren Funkstrecken fest – heißt: Der aufgenommene Ton des Kanzlers ist verzerrt, stellenweise lückenhaft. Wir müssen noch einmal aufzeichnen. Das ist schon peinlich genug. Bis wir so weit sind, müssen wir Smalltalk machen: Der Kanzler, mein Chef, Heiko Paluschka, der das Interview mit mir führt, und ich.

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Ob er denn manchmal im Kanzleramt schlafe, frage ich den Bundeskanzler. "Einmal als ich Corona hatte und meine Frau nicht anstecken wollte", sagt Olaf Scholz knapp. Nächste Frage: Ob er denn öfter mal Selfies mit den anderen Regierungschefs mache. "Nein, auf meinem Handy sind kaum Fotos", sagt Olaf Scholz knapp. Sperrig ist er, dieser Scholz, denke ich. Ich komme ins Schwitzen. Es sind 36 Grad in Berlin, einer der heißesten Tage des Sommers und langsam gehen mir die Smalltalk-Themen aus. Heiko startet einen verzweifelten Versuch, die unangenehme Stille zu brechen: Rudern, das mag der Kanzler schließlich.

Momente wie diese werde ich von Olaf Scholz in Erinnerung behalten: Geduldig war er meistens. Auch wenn es mit der Technik beim Fernsehen mal wieder nicht so recht klappen wollte. Immer wieder war der Ton gestört, auch beim G7-Gipfel in Hiroshima. Interessant auch, dass der Kanzler zuhörte. Zumindest war das mein Eindruck. Auch wenn die Antwort dann so ausfiel, wie sie ihm gefiel – und nicht immer eine Antwort auf die Frage war, die gestellt wurde. Das sind wir Journalist:innen in Berlin aber auch gewohnt.

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"Scholz lacht 'schlumpfig', wenn er sich freut"

Apropos Hiroshima: An Charisma auf dem internationalen Parkett fehlte es Olaf Scholz manchmal. Am Rande des Gipfel-Treffens fragte mich eine junge Japanerin, wer denn mein Regierungschef sei. Ich sagte: "Ich bin mit Olaf Scholz hier." Sie enttäuscht: "Den ich kenne ich gar nicht. Ich dachte, du bist Kanadierin. Ich finde Justin Trudeau so attraktiv."

Aber Scholz lacht "schlumpfig", schon fast niedlich, wenn er sich so richtig freut. Zwar selten in der Öffentlichkeit, mehr hinter den Kulissen. Zum Beispiel, als er uns Journalist:innen im Regierungsflieger von der in seinen Augen sehr kuriosen Bühnenshow beim Klimagipfel in Dubai erzählte, die er wenige Stunden zuvor besucht hatte.

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"Innenpolitisch war sein Kurs nicht immer klar"

Die Anekdoten über Olaf Scholz als Mensch stehen im Kontrast zu den großen politischen Fragen seiner Kanzlerschaft. Vieles blieb vage oder wurde nur unter immensem Druck entschieden. Die Kommunikation zum Sondervermögen für die Bundeswehr etwa – holprig, wenig transparent. Oder seine berühmte "Zeitenwende"-Rede nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: ein historischer Moment, dem in den Augen vieler zu wenig konsequentes politisches Handeln folgte.

Auch innenpolitisch war sein Kurs nicht immer klar. In der Migrationspolitik eierte die Regierung lange, bis schließlich – nach massivem Druck aus Ländern und Kommunen – ein Kompromiss gefunden wurde. Scholz‘ berühmtes Zitat, man wolle "alle Kraft darauf verwenden, dass Deutschland nicht in die Rezession rutscht", klingt im Rückblick wie ein frommer Wunsch. Die wirtschaftliche Lage bleibt angespannt, die Stimmung im Land gereizt.

Der Kanzler in T-Shirt und Jeans

Manchmal kam der Bundeskanzler im Regierungsflieger nach hinten und besuchte uns kurz vor Abflug, um noch etwas zu plaudern. Nach dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro, sein letzter großer Gipfel als Bundeskanzler, fragte er – schon aus dem Bundeskanzler-Anzug in T-Shirt und Jeans gewechselt – wer von uns denn an der Copacabana schwimmen gegangen sei. Während ich ausführte, dass der Atlantik an der Stelle sehr gefährlich sei und das Meer einen regelrecht verschlingen könnte, drängten die anderen Journalist:innen bereits darauf, nun endlich zu erfahren, ob der Bundeskanzler nun wirklich noch einmal kandidieren würde, ob der nicht viel beliebtere Pistorius ins Rennen gehen sollte.

Ich habe den bald Ex-Kanzler nun zwei Jahre kritisch begleiten dürfen – im Bundestag, im Kanzleramt, auf Reisen nach Israel, China, in Europa und Japan. Die Medienabteilung des Bundespresseamtes sagt, die Schlagzahl der Inlands- und Auslandsreisen habe sich mit seiner Kanzlerschaft nahezu verdoppelt im Vergleich zu Angela Merkel.

Ich habe ihn als sehr analytischen, ernsthaften, sehr hart arbeitenden Politiker kennengelernt  – mit einer kleinen, gelegentlichen Prise Humor. Selten fährt er aus der Haut. Er hat ein dickes Fell.

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Er sprach selten Klartext, was in Krisenzeiten, in denen Führung gefordert war, zum Problem wurde. Beim Umgang mit den Bauernprotesten etwa blieb er zu lange stumm. Die Ampel-Koalition, in der Scholz oft mehr Moderator als Gestalter war, zerfaserte zunehmend in Streit, der die politischen Inhalte überschattete. Scholz' Autorität bröckelte nicht zuletzt durch seine zögerliche Haltung bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.

"Vielleicht wird uns seine Besonnenheit fehlen"

Doch ich kaufe ihm ab, dass ihm das Land und seine Menschen am Herzen liegen. Und dass er viel mehr vorhatte, um dieses Land positiv zu prägen. Die Umstände, die Drei-Parteien-Koalition, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, der Höhenflug der AfD – die Herausforderungen waren wohl zu groß, um nachhaltig etwas zu verändern. Und doch bleibt die Frage: Hat Olaf Scholz zu sehr auf Stabilität gesetzt – in einer Zeit, die nach mutigem Wandel verlangte?

Vielleicht wird uns Scholz’ Besonnenheit in den nächsten Jahren fehlen. Vielleicht seine Geduld, vielleicht sein dickes Fell. Es kommt wohl darauf an, wie sich der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schlagen wird. Ob der wohl mehr Fotos auf seinem Handy hat als Scholz? Ich werde ihn fragen, wenn während eines Interviews mal wieder der Ton ausfällt.

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